Zu Wildenhayns Werk
Erläuterungen zu ausgewählten Texten




Inhaltsübersicht:



„Urmas im Einklang: zur Wolbewegsamkeit der deutschen Sprache“

Einiges zu den „Proben aus Völuspa“


Wildenhayns lyrische Werke: Waldos Tod

Während der Schlacht bei Lützen.

Glückauf

Liebes=Gast

Die Sonette Wildenhayns

Himmelschlüssel


Wildenhayns Prosatext „Ein Bild von diesjähriger Dresdner Ausstellung. August 1819“





„Urmas im Einklang: zur Wolbewegsamkeit der deutschen Sprache“  



So lautet die letztgefaßte Betitelung Wildenhayns nie vollständig veröffentlichter Abhandlung, deren Erläuterung ich an den Anfang dieser Werkdarstellung setze. Die publizierten Fragmente in der „Isis“ mögen genügen, um ein Bild dessen zu erstellen, was Wildenhayn im „Urmas“ darlegen wollte. Seine übrigen Schriften sollen unter dem Licht der darin enthaltenen Theorien anschaulicher werden.
Seit Johann Christoph Gottsched in der ersten Auflage seiner „Poetik“ im Jahre 1730 dazu aufmunterte, deutsche Hexameter und überhaupt ungereimte Verse zu machen, wuchs das Bemühen deutscher Dichter um die Adaption des antiken Vorbildes. Rein praktisch gelang dieses Vorhaben wohl Friedrich Gottlob Klopstock am frühesten mit seinen deutschen Nachbildungen antiker „Oden“ (1747) und dem in Hexametern verfaßten „Messias“ (1748). Später bemühte sich Johann Heinrich Voß „in Theorie und Praxis um eine der neuen Dichtweise angemessene Prosodie - unter Beachtung auch des prosodischen Werts der Silbendauer“
Q. Wildenhayn hält diese geistige Tendenz für eine „revolutionäre“:

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„Es hat sich aber das humanistische Element als ein revolutionäres beurkundet nicht nur an der Reformation, sondern auch neuerdings mit weltbewegender Kraft geäusert, in der, seit Klopstok, Lessing, Winkelman usw. beabsichtigten Einführung deselben in die heimatliche, neuthümliche Bildung. Welche Folgenkette nun der grosen Umwandlung, worin die deutsche Geister= und Gemüths=Welt noch immer neu begriffen ist, sich dort anknüpfe, wo man began das Plastische der Alten, man möchte sagen, die nakte Kunst, auch uns volkthümlich zu machen, liegt vor Augen.“Q

Die Ausbildung dieses Ideals bei Wildenhayn wurde schon während seiner Gymnasialzeit begünstigt. In der Schrift von Christoph Heinrich Ludwig Hußell heißt es: „die Schriften der alten Griechen und Römer [waren] den Lehrern der Fürstenschulen die größte Panacee“Q. Auch in Christian August Heinrich Clodius konnte Wildenhayn einen Verehrer antiker Dichtung finden. Seinem „Entwurf einer systematischen Poetik“ bildete Clodius hauptsächlich unter Anwendung griechischer und lateinischer Textstellen heraus.
Gleichzeitig herrschte seit Johann Gottfried Herders Bemühungen um eine Werthebung des Volkstümlichen in der Betrachtung der Menscheitsgeschichte, eine Rückbesinnung auf die reichen Quellen des eigenen Volksgutes.
Beide Ansprüche an Kunst, die Nachbildung antiker Form in der Dichtung und die Hinwendung zum Volkthümlichen, sollten sich in Wildenhayns „Urmas“ zu einem synthetischen Ganzen vereinen. Die Idee zu dieser Verschmelzung scheint Wildenhayn aus dem damals jung erstandenen Evolutionismus1 gewonnen zu haben. Dies kann unter Heranziehung beispielsweise seines Gedichtes „Der Gottesbaum“ behauptet werden. Auch dort findet sich die Parallelisierung von organischer Evolution und der Entwicklung der Kulturerscheinung Sprache wieder:
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„Im Anfang pflegte der alte Gott / Ein Körnlein  [...] das Körnlein heißet Laut, / Der Baum heißt Sprache, die Wurzel Wort, / Das wuchs zur Sage im Stamme fort. / Die singenden Blätter im Baumeszweig / Sind redende Völker in manchem Reich. / Und duftet die Blüthe zum Himmel hin, / Ist viel Kunst, Weisheit und Liebe drinn“Q. Auf die Dichtung übertragend konnte Wildenhayn davon ausgehen, daß die Dichtung der Antike als auch die volkstümlich deutsche, einen gemeinsamen Ursprung habe.
Um dem Ideal griechischer und römischer Dichter sich unter Verwendung der deutschen Sprache zu nähern, mußte versucht werden, die Sprachregelungen wie sie bei ihnen Anwendung fanden auch für die Muttersprache auszubilden. Zu diesem Versuch ist Wildenhayns Bemühen
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„um Feststellung des Zeitmaslichen (der Rhythmik, Prosodie und Metrik) im Deutschen“Q zu verstehen2.
Wildenhayn behauptete in „Revolution“,
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„man habe gleich anfangs eine Hauptsache viel zu wenig beachtet; unsern Reichthum nämlich an solchen Stam=sylben, die zu kurzem Lauter auch einfachen Klinger und oft nicht einmal die Betonung haben, oder - die Stam=Kürze!“Q Dies bezog er auf die seit langem begonnene Suche nach der passenden Prosodie der deutschen Sprache für die Nachbildung antiker Versmase. Es weißt zugleich den neuen Aspekt auf, den Wildenhayn für diese Suche gefunden hatte.
Auf die Bedeutung alter Stammsilben verwieß auch Christian Hinrich Wolke in seinem 1812 erschienenen „Anleit zur deutschen Gesamtsprache“3: „Di Kentnis der Wurtseln gibt den Wórtern Licht und Le\ben, iren Bedeutungen Gewisheit und Bestimtheit, welche sonst lichtlos, dunkel, blind, to\dt - unerklàrba\r und kraftlos sind“
Q. Wolke aber verwieß darauf nicht im Zusammenhang mit einem zu findenden Dichtmas.
In diesem Zitat Wolkes ist zu erkennen, wie er seine „im Sinne des bekannten Klopstockischen Versuches [...] eigene phonetische Orthographie zurechtgemacht“ hat
Q. Und auch Wildenhayn „entwirft, wie für jeden deutschen Dichter jener Zeit anscheinend unerläßlich (siehe Klopstock, Jean Paul, etc.) auch eine eigene Orthographie,
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so daß Oken einmal den Setzer scherzhaft sich öffentlich gegen die Vermutung oder den Vorwurf von Druckfehlern verwahren läßt “: bemerkte Arno Schmidt in seiner Fouqué-BiographieQ, der in seinem Spätwerk ja selbst mehr und mehr zu einer eigenen Heterographie fand.4
Wenn man die Schreibung der Worte zurückverfolgte bis zu den Wurzeln denen sie entstammen, und daraus wieder emporsteige in die eigene, ohne aber die
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„Ueberladungen“ wieder hinzukommen zu lassen, welche „ein Blick auf die Zeitfolge unserer Drukbücher und die Handschriften der schwäbischen Zeit“ offenbart, könnte dann nicht eine Annäherung der eignen Schriftsprache an jene Klarheit erlangt werden, wie sie „im griechischen Muster vor Augen liegt“?Q Wildenhayn entwickelte seine Schreibart aus dem Bedürfnis heraus, damit einer quantitierenden Prosodie zu entsprechen, wie sie für griechische Dichtung bezeichnend ist. Die Schreibung sollte
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„die Darstellung des Langen als lang, des Kurzen als kurz, mit bereits vorhandenen Mitteln“Q bewirken. Wildenhayn wollte also nicht eine neue Schreibweise „machtsprecherisch“ hinstellen, wie dies beispielsweise Christian Hinrich Wolke mit seinem „Anleit“ zu erwirken suchte, sondern
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„algemach die mögliche Klarheit wiedergewinnen“Q. In einer Fußnote zur Übersetzung „Katull’s Atüs“ ging er nochmal näher auf seine Schreibung ein und betonte, sie „
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verlangt nur vom Aug’ aus, was gute Vorleser und gewandte Sprecher vom Mund aus leisten, für’s Ohr“Q. Ähnlich äußerte er sich in Bezug auf den natürlichen Sprechrhythmus, von dem er zeigen wollte, wie wir ihn
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„in allem Leben unbewust besitzen“Q.
Er schöpfte also aus den Sprechgewohnheiten und der Sprache des Volkes. Dabei beschnitt er die üblichen Schreibweisen, kürzte auf „alte Stam=Sylben“ zurück um der Metrik antiker Dichtung entsprechen zu können. Damit die Worte keine Entstellung bis zur Unkenntlichkeit erfuhren, bezog er den Reichtum der deutschen Sprache an Soziolekten mit in das Repertoire der Wortwahl ein. Schon unter Abraham Gottlob Werners Schulung konnte er den Wert der eigenen Muttersprache, zumal auch ihrer soziolektischen Randbereiche, erkennen lernen. Werner setzte sich „mit der Geschichte der deutschen Sprache und ihrem Ursprung ebenso auseinander[...], wie er die Bedeutungsmodifikation und die Idiomatik der deutschen Bergmannssprache (sächsisch, harzisch, und andere) untersuchte“
Q. Auch Johann Paul Friedrich Richter schreibt in seiner „Vorschule zur Ästhetik“: „Unsere Sprache schwimmt in einer so schönen Fülle, daß sie bloß sich selber auszuschöpfen und ihre Schöpfwerke nur in drei reiche Adern zu senken braucht, nämlich der verschiedenen Provinzen [...], der alten Zeit und der sinnlichen Handwerkssprache“Q. Beleg für die erfolgreiche Umsetzung Wildenhayns Sprachregelungen bieten seine Übersetzungsleistungen und die meisten seiner Gedichte.

In viele Richtungen liefen Wildenhayns Gedanken, die zur Ausmittlung des antikisierenden Dichtmaßes wirken sollten. In der „Blüthe deutschen Wort= und Menschen=Sinn’s“, stellte Wildenhayn die Vermutung an:
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„ob unsre Sprache nicht ihre Pflanzlichkeit so volständig ingeartet und eingewachsen besitze, das eben jetzo die Wurzel des alten Stams (Wurzel=Urt=Ort=Wort) für jedes Blat unsrer Bücherreichen Kunde ein Blüthenblätchen deutscher Benamung triebe“Q. Dabei gedachte er
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„des frühesten Verkehrs der Menschheit mit der Pflanzenschaft, welcher das Buch nur von der Buche benante“Q und wollte nun auch für andere Worte die Verwandschaft mit Pflanzennamen erkunden. Die Idee dazu bot wohl Lorenz Oken, welcher in seinem „Pflanzensystems“ die taxonomische Nomenklatur mit deutschen volkstümlichen Bezeichnungen besetzte.
Im selben Stück spricht Wildenhayn noch einen anderen Aspekt der Sprachgeschichtsforschung an:
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„Ich meine das ernstlich genug, zu glauben, im Verständnis des Menschenwortes sei auch dem Erforscher des Wesens der Dinge mancher Aufschlus gegeben“Q. Diesen Anspruch an des Menschen Wort konnte Wildenhayn auch bei Abraham Gottlob Werner finden, dem seine zahlreichen „fremdsprachigen nicht-montanistischen Schriften nicht nur Hilfsmittel zum Erlernen und Festigen bestimmter Sprachkenntnisse [waren], sondern sie eröffneten ihm auch den Zugang zur Geschichte und Kultur anderer Völker. In diesem Sinne verstand ABRAHAM GOTTLOB WERNER die Sprachen als ein Stück Menschheitsgeschichte“Q.
Für Wildenhayn waren Geschichtsstudien gleichbedeutend mit den Studien der Sprache. In seinen „Erinnerungen an eine Deutsche Geschichtsschreibung“ spricht er vom „Urmas“ als seines
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„auch höchstgeschichtlichen Hauptwerkes“Q. Bei seinen Erforschungen der Völker, Sprachen und Zeiten fand er nicht nur, wie vor ihm schon andere, eine auffällige Übereinstimmung in der Lautgestalt vieler Sprachen, sondern ebenso fiel ihm auch eine Ähnlichkeit in der Form ihres literarischen Erbes auf:

Zurück zu: Brief - Frühlimg 1830
„Die erste hinreichende Ruhe zum ersten Versuche einer auch masgetreuen Übersetzung des Grimnismals enthüllte die Urgestalt genauso wie ich nach tausendfachem Umherwählen als eine deutsch ächteste dieselbe für heute noch selbständig ermittelt und namentlich für Ausführungen weihwortlichen Gehaltes bestimmt hatte: Slokas mit Stabreim, ja das Wortmasliche dabei entsprach demjenigen das ich mir gefunden, wovon ich öffentlich Probe abgelegt; wobei freilich indische Messung schon bedacht war, nur das die alte Sprache bei weitem reinlautiger auftrit als unsere daraus entstellte“Q.



Zu den TextenEiniges zu den „Proben aus Völuspa“  

In seinem wohl letzten großen Vorhaben, der Entschlüsselung der Alten Edda, fanden sich die Ergebnisse all seiner Studien in eins. Was als Proben dazu im Sächsischen Hauptstaatsarchiv noch lagert, entspricht in keiner Weise herkömmlichen Übertragungen, nicht der Simrocks, nicht der Genzmers, welche mir zum Vergleich vorlagen; schon die angewandte Methode der Übertragung scheint mir einzigartig, neu. Inwieweit sie wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, kann ich nicht sagen. Allgemein muß aber gesehen werden, daß jede interlinguale Übersetzung auch eine Interpretation impliziert und „eine sprachliche, literarische und kulturelle Produktivität [entfaltet], die eine Bereicherung der Zielkultur darstellt“
Q. Dies gilt freilich auch für all die anderen Übersetzungen Wildenhayns, besonders  aber doch für die hier besprochene.
Die Schriftstücke, deren möglichst getreue Abschrift versucht wurde, gliedern sich wie folgt:
Blatt 1 beinhaltet eine Abschrift der ersten Zeilen des Codex regius; auf den folgenden Seiten findet sich:
eine Rückführung diesen Textes zu indogermanischen (?) Worten und strophische Gliederung zu je zwei Slokas pro ursprünglicher Strophe;
darüber eine Umschrift dieser Verse in Runenschrift;
unter diesen beiden typographisch hervorgehobenen Zeilen führte er, gleich Variationen dieser, eine Reihe Verse gleicher Silbenzahl und ähnlicher Lautigkeit aus verschiedenen Schriften unterschiedlicher Epochen indogermanischer Kulturen an;
kommentierend zu diesem überraschenden Gleichklang der Stimmen vieler Völker gibt er im Folgenden Anmerkungen zu einzelnen Worten und führt sein Verständnis ihrer Ethymologie auf.

Diese vorgehensweise wiederholte er für alle drei anfangs aufgeführten Strophen des Codex regius, wobei von besonderem Interesse die Variationen zu Strophe drei sind, der er besondere Aufmerksamkeit schenkte und die vollständige Umschrift „in römische Lesart“ auf den folgenden Seiten lieferte
. Dazu gibt er in den Anmerkungen an: „Obige 32. Strophen ergaben sich aus 15 Zeilen des ersten Entwurfes durch wiederholte Bearbeitung“.
Die von diesem Text gemachte Abschrift ist leider nicht vollständig: im Originaldokument befand sich gegenüber den Seiten mit dem deutschen Wortlaut eine wohl ursprünglichere lateinische Übertragung; deren Abschrift hätte aber noch mindestens zwei weiterer Tage bedurft hätte - vielleicht später. Zum besseren Verständnis des Textes hätte sie sicherlich beitragen können, vor allem wo einzelne Worte in der dt. Übertragung, zumindest anfänglich, unverständlich bleiben. So beispielsweise das Wort „Eswaar“ (Str.1, Z.1), welches doch nichts anderes bedeutet als Eß-, Speise-Ware, in diesem Fall Honig, was aber beim ersten lesen kaum zu fassen ist. Das mhd. var, auch ver, als auch das lat. ver &c., besitzen tatsächlich die hohe Varianz der Bedeutung wie Wildenhayn sie hier gebrauchte.
Über die Methode dieser Umschrift wage ich nicht zu urteilen; ihr Produkt allerdings mag als Beitrag gelten zu weiterer Entmystifizierung auch dieser „heiligen Schrift“.


Zum TextWaldos Tod  

In seinem ersterschienenen Gedicht „Waldos Tod“ nimmt Wildenhayn Bezug auf den Volksglauben der Germanen. Sein Held Waldo oder auch „Siegwald der Starke zugenannt“ liegt auf seinem Sterbelager gebettet. Die Sorge, nicht durch fremde Hand in den Tod geschickt zu werden, sondern kränkelnd dahinzusiechen und nach seinem Sterben nicht das Privileg zu erhalten, als Einherjer Walhall zu beziehen, führt ihn dahin, seine drei Söhne zu sich zu bitten. Einer von ihnen soll das Schwert führen, daß ihn tödlich verwundet. Keiner jedoch findet sich bereit. Daraufhin „schloß er seine Augen und sank in Todesgraun“. Doch beginnt es nun um das Haus laut zu tosen. Waldo ist es, als ob die er „gefällt im Streite“ ihn „gar erwürgen wollen“, ohne das ein „Tröpflein“ seines „Blutes dem Gott zur Sühne rann“. Doch anstatt dieser erscheint „ein hoher Greis, / der sah mit Feueraugen aus Haaren grau wie Eis“. Jener fordert ihn sogleich zum Kampf heraus. „Man mochte Wunder schauen, wie grimm ihr Fechten war, / Daß sie’s gelernt mit Fleiße, das ward wohl offenbar“. Erst als Waldo tödlich getroffen wird, rät er, daß der Fremde Wodan selber sein müsse. Worauf ihm dieser entgegnet: „Hast wohl gerathen Waldo, hast wohl gefochten Sohn, / So nimm in Wodans Halle den Trunk zum Heldenlohn“.
Dieses aus 39 regelrechten Nibelungenstrophen (erster Halbvers aus drei Hebungen und weiblicher Kadenz, zweiter Halbvers aus drei Hebungen und männlicher Kadenz; vier Verse in Paarreim) bestehende Gedicht vereint lyrische mit epischen und dramatischen Elementen. Letzteres ergibt sich aus der wörtlichen Rede, das Epische aus dem konstruierten Erzählverlauf. Die Verwendung fester Strophenform verweist auf Wildenhayns bewußte Hervorhebung der poetischen Funktion innerhalb des Rezeptionsprozesses. Im Mittelpunkt steht Waldo, als der Held der Handlung. Aus den genannten Elementen ergibt sich die lyrische Form der Heldenballade.


Zum TextWährend der Schlacht bei Lützen  

Ein Stück ganz eigener Art bildet Wildenhayns Gedicht „Während der Schlacht bei Lützen“. Zwar reiht es sich in die Folge der die Freiheitskriege verherrlichenden Gedichte ein, doch ist es Wildenhayns einziges Gedicht in welchem er aktuelles Tagesgeschehen aufgreift. Ganz dem Ernsthaften des Themas angemessen, heben die einzelnen Verse trochäisch an. Die wiederholte Aufforderung „Horch [...], horch“ gemeinsam mit der nachfolgenden Frage im ersten Vers, leitet das Gedicht beinahe bang und zögernd klingend ein. Das lyrische Ich nimmt darin das fiktive Zwiegespräch mit einer Nachtigall auf. Bedenkt man den philhellenischen Geist Wildenhayns, kann man den Symbolgehalt, welchen die alten griechischen Dichter diesem Vogel beigaben, hier in Anklang bringen. Diese sahen in der Nachtigall den heiligen Vogel der Poesie, als auch ein Sinnbild für Liebe und Trauer. „voll Inbrunst schmachtigen Liebesgesang“ schmettert sie „blüthenumfüllt“, „Wonnegelock“: die „Maienverkündigerin“, denn als solche betrachtet man sie in mitteleuropäischen Landschaften
Q.
Im Gegensatz zu dem zögernden Beginn hebt der zweite Vers mit der Interjektion „Ha“ an und klingt mit gedoppelter Choriambe kraftvoll aus. Die emotive Funktion der den Vers anhebenden Interjektion wird durch sein enormes Anschnellen verstärkt, bewirkt durch das Zusammentreffen von metrischer Hebung und Iktus auf dieser Silbe. Ihr folgt die Antwort auf die im ersten Vers der Nachtigall gestellten Frage: „‘s war Donner“. Eingeleitet durch die emphatische Interjektion „o“ berichtigt das lyrische Ich die vorangegangene Aussage dann und konkretisiert sie mittels der Correctio: „nicht Donner von oben herab!“, bezieht sich demnach auf den „gewaltige[n] Klang“ des Geschützdonners.
Die Verschiedenheit im Rhythmus der beiden einleitenden Verse wird durch die Harmonie des Klanges wieder aufgehoben. Ist die Lautfolge der Hebungen im ersten Vers o a a o a a, verbindet sich wie spielend mit ihr die Lautfolge des zweiten Verses a o o o o a. Die Dominanz der Vokale a und o durchzieht auch das gesamte Gedicht und trägt durch die Bildung häufig wiederkehrender Assonanzen zum Wohllaut dieses reimlosen Gedichtes bei. In diesem Vorgehen Wildenhayns könnte man den Einfluß Clodius’ vermuten, welcher behauptete: „Das o und das a wird [...] die Assonanz sehr musikalisch machen, wenn es sich als herrschend zeigt“
Q.
In den folgenden vier Versen stellt Wildenhayn das Himmlische dem Irdischen gegenüber. Als Symbol für das Himmlische figurieren sowohl die Nachtigall, als auch das „schwüle Gewitter“. Gegenüber dem „Wonnegelock“ des Vogels hallt entzückender „der gewaltige Klang da herüber“. Mit Euphorie möchte sich das lyrische Ich „begeistrungkühn“ zu der Schlacht „hinstürzen“, „wo die Freiheit aus gluthrothem Gewölk sonnig am Himmel erwacht“. Der metaphorische Gebrauch des „allrosigen Regens“ für das vergossene Blut der Freiheitskämpfer, welches „die durstige Saat überrinnt“, ergibt die Aussage, daß dieses Blut nicht umsonst floß, sondern „Hoffnung“ weckt auf Neubeginn. Auch die beiden letzten Verse beziehen sich auf Himmlisches und Irdisches. Daß „der Freiheitschlacht brünstige Donner“, „droben dem Herrgott klingen“ mögen „gleich Nachtigalllaut“, führt zur Verbindung des Gegenpaares.
In der Metrik des Gedichtes überwiegen Choriamben, wozu vor allem Wortschöpfungen wie „blüthenumfüllt“, „Wonnegelock“, „Donnerumhallt“ und „Nachtigalllaut“ beitragen. Wechselweise haben die Versenden männliche und weibliche Kadenz.


Zum TextGlückauf  

Auf den Tod Abraham Gottlob Werners, schrieb Wildenhayn das als Nachruf gedachte Lied „Glückauf!“. Werner dient hier dem lyrischen Ich im Traum
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„als Führer durch das Reich [...] das er geistig besas“Q. Gemeint ist damit die von Werner begründete Wissenschaft der Gebirgskunde. Zur Darstellung dieses „Reichs“ verwendet Wildenhayn die
Zurück zu: Schriften / Glückauf - Bey Uebersendung dieses Liedes
„bergmännische[] Kunstsprache“, denn „warum sol diese nicht auch ihre Dichtung haben wie jede andere, da sie volkthümlich ist?“Q. Dieser Soziolekt widerspiegelt sich beispielsweise in den Worten „Gezähe“, „Firsten, Ort und Strossen“, „Flötz“ und „Wacken“.
Wie bei einer Exkursion wird das lyrische Ich durch seinen „Meister“ in die Tiefen eines Bergwerkes geführt. Auch in Novalis’ „Heinrich von Ofterdingen“ erfährt der Protagonist Naturgeschichte auf einem Gang durch ein Bergwerk. Zu bemerken ist hier, daß schon Novalis ein Schüler Abraham Gottlob Werners war. In Wildenhayns Text erfährt das lyrische Ich die Entwicklungsstufen der Natur von ihrer „krystallinischen Bildung“ über die Belebung des Anorganischen durch den „Magnetismus“ bis hin zum organischen Leben, wie er selbst in seiner Anmerkung „Bey Übersendung dieses Liedes“ erläutert. Diese Betrachtungsweise geht Hand in Hand mit den damals üblichen Verbildlichungen zur Entwicklungsgeschichte des Lebens. Als Beispiel kann ich die Beiträge zur Evolution des menschlichen Geistes von Johann Christian August Grohmann in „Nasse’s Zeitschrift für psychische Aerzte“
Q hier anführen, oder auch Lorenz Okens „Naturphilosophie“Q.
In den Strophen drei bis sechs werden diese „Hauptbildungszeiten in umgekehrter Ordnung“ veranschaulicht. Anfangs erscheinen organische Lebensformen in Gestalt fossilierter Pflanzen und Tiere vor den Augen des lyrischen Ichs. Mit dem Vers „Seit Feste sich aus Meer begann zu lichten“ verweist Wildenhayn auf die neptunistische Ansicht Werners zur Entstehungsgeschichte der festen Erdmassen. „Und weiter gings“, vorbei am „Sud [...] wo kühle Salzquelzüge gehn auf Klüften“ bis in „die festen Wacken / Da Muschel noch und Pflanzenthier sich halten“. Veranschaulicht durch eine Wünschel-“Ruthe“, die schlug und den beiden Protagonisten den „Urquell“ wies, wird auf die alles verbindende Kraft des „Magnetismus“ hingedeutet. Die telluren Bildungen erscheinen dem lyrischen Ich in „Silberbäumlein [die] krochen / Goldfrüchteschwer von Blüteglanz beschienen“. Durch weitere geistige Reflexion des soeben Beschauten, offenbart sich dem lyrischen Ich der Ursprung allen Werdens in „Gotgefühlen“, die ihn „hoch beglücken“. Aus Dankbarkeit für das Erfahrene, möcht er dem Führer „die Händ’ vor Liebe drücken“ und fragt „Wie [...] o Meister, sol ich danken?“. Nach dieser rethorischen Frage hebt Wildenhayn Werners hohe Bedeutung für die Monanwissenschaften hervor: „Dein Name gilt im Bau der Norderwende, / Ihn rühmt der Hütner am Potosi=Schachte“. Abschließend kehrt die Dichtung zur Wirklichkeit zurück; durch ein Klopfen an der Tür erwacht das lyrische Ich und erhält die Todesnachricht Werners.


Zum TextLiebes=Gast  

Ein
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„bereits 1813, auf das Versprechen Gedichtete, auch einmal Elegien, wen selber keine römischen - aber vielleicht deutsche, zu geben“ entstandenes Gedicht, ist „Liebes=Gast“5. Wildenhayn selbst bittet bei der Veröffentlichung des Gedichtes in der Isis 1820 Sp.7: es „nicht für eine Probe meiner neuverhiesenen Wortmaslichkeit (Prosodie) zu misdeuten; wiewol es als Maximum dessen gelten kan, was nach bisherigen Grundsätzen zu leisten stand, die Übergänge zum volksliedlich=Freieren schon entwickelnd“Q.
Wie bereits in Wildenhayns: „Während der Schlacht bei Lützen“, führt auch hier das lyrische Ich ein Zwiegespräch mit einem Tier, wobei es sich in diesem Fall um ein Roß handelt. Für die Spielarten russischen, erotischen Volksgutes, weist Roman Jakobson auf die Verwendung des „schnaubenden Rosses“ als Männlichkeitssymbol hin
Q; es ist wahrscheinlich, daß man dieses auch auf den deutschen Sprachgebrauch beziehen kann. Dem griechischen Geographen Artemidoros galt das Pferd als Symbol des LiebesglücksQ. Die Verheißung darauf treibt das lyrische Ich auf seinem Roß reitend „blizschnel hinte gen Elberaburg“, erahnend der Liebsten Worte, die sie „im trauten  Gemach“ an ihn richtet: „Aber gelangt’ er anheim, sol Nachtherberge bereit seyn, / Für die bestandne Gefahr desto ‘ne seligere“. In Gedanken stellt er sich Szenen vor, die sich im Augenblick mit der Geliebten zutragen könnten. Sein wechselnder Mut spiegelt sich in den verschiedenen Färbungen dieser einzelnen Szenen wider, was die hierbei von Wildenhayn verwandte Form der wörtlichen Rede verstärkt zum Ausdruck bringt. Erwartungsvoll und ungeduldig treibt der Reiter das Roß beständig an: „Greife gewaltiger aus gut Ros, durchfliege den Nachtwind“. Im sechsten Distichon hebt eine Sentenz an, welche variiert im fünfzehnten Distichon wiederkehrt. In beiden nimmt Wildenhayn Bezug zu sich während der „Nachtwalfarth“ abspielenden Naturbegebenheiten. Die erste Sentenz greift die Kranichschar auf, deren „Fitticheschlag [...] durch die Gewölk’ anwimmelt“. Kraniche galten zu allen Zeiten als Sinnbild der Sehnsucht, der Liebe und der TreueQ. In diesem Sinne endet die Sentenz mit: „Windschnel Kranicheflug, blizschnel sind Minnegedanken“. In der zweiten durchquert ein „Waldstrom“, der „wilde geworden“ den Weg. Doch „Wogte die See statt Nebel umher aldurch die Gebirge: / Flöge von Höhe zu Höh Liebe doch ohne Gefahr“. Der abschließende Hexameter paßt „Windschnel Kranicheflug“ durch die Worte „Pfeilschnel Wogenergus“ dem Vorhergegangenen an und repetiert „blizschnel sind Minnegedanken“.
Ähnlich der dritten Elegie des ersten Buches Tibulls, zu der Clodius
sagte, daß sie „aus dem reizend Schönen ins Grausende über[geht]. Aber es ist dieses nur sanftgrausend und der Übergang selbst ist nicht schnell“Q, verfährt auch Wildenhayn. Ein „Burgmütterchen [...] Sitzt, und spint langaus [...] Unter’m Spillegesur graunhaftige Wundergeschichten, / Wie Frau Holla genung nächtliche Reuter gelokt; / „Hold anfangs, mit dem Irlichtlein, jedoch al die Bethörten / „Fand man am Felsabsturz, oder gewürgt im Morast““. Aufgrund dieser Erzählung wird die Phantasie des Mädchens so entfacht, daß ihr das „Thür= und Fenstergekrach [...] im alten Gebäu“, als die Schritte des Nahenden erscheinen. Mit der klimatischen Struktur: „Tritfest schreitet es an; treppauf; nun klingt es - er ist es: - / Ha, sein Geist nur trit blutigen Hauptes herein, / Hebt die bedrohliche Hand; sinkt ein - aufächzet die Arme, / Tödlichen Falls Wahnbild schaut die Gepeinigete“, erreicht Wildenhayn höchsten Spannungsverlauf. Er läßt ihn aber nicht abschnellen, sondern gemächlich verklingen. Durch die Anzahl der das Grausen ausdrückenden Worte,  wie „Uhuruf“, „Mitnacht“ und „Geistergelispel“, die im weiteren Verlauf der Elegie abnimmt, wird dies erreicht. Die Geister, die er vernimmt, „walten in Feu’r und Luft, Wasser und Erde gewis“: „jedoch al der Uebergewaltigen ist Minne die Bändigerin!“ Ihren Ausgang findet die Elegie schließlich in dem Vernehmen von „Hundegebell“ und „Wächtergesang; Windstille mit einmal: / Las ab; volmondhel raget das Elberaschloß!“ 
Im Hinblick auf die Sprache wird das gesamte Gedicht von onomatopoetischen Ausdrücken durchzogen, wie beispielsweise „sausen“, „Regengeprassel“, „brausen“, „klirret“ und „krachts“. Dadurch gelingt es Wildenhayn, die Naturklänge in die Worte aufzunehmen und eine gewisse Authentizität zu erreichen.
Durch die Lage der häufig verwandten harten Explosivlaute p, t und k bei den auf der Betonung liegenden zumeist kurzen Silben, wird die Elegie rhythmisch beschleunigt und kraftvoll in ihrer Lautigkeit. Dazu tragen auch die durch die zahlreichen Ellipsen häufig bewirkten Zäsuren in den einzelnen Hexa- und Pentametern bei; wie zum Beispiel „Ebene Bahn waldein; Wipfelgesause voraus“ oder „treppauf; nun klingt es - er ist es“.


Die Sonette Wildenhayns  

„Nimmt man das, was [...] Kunstrichter über das Wesen des Sonnets sagen, zusammen, so ist wohl der Hauptcharakter des
Sonnets eine zärtliche platonische Empfindung [...] verbunden mit dem größten musikalischen Wohlklang“Q.

Zurück zu: Schriften / Ein Bild
„O, ich weis, es giebt eine Wonne des Harms und die gönn’ ich Dir “: heißt es in „Ein Bild“Q, in dessem ersten Abschnitt Wildenhayn das Thema desZum TextSonnet. 18176 prosaisch verarbeitet. Hier wie dort geht er auf das Sich-Hingeben an den Schmerz ein, welches zur inneren Verarbeitung des erlittenen Geschehens zwar vonnöten ist, aber auch zu einem gemütlichen Verharren darin werden kann und uns der Verantwortung gegenüber dem Bestehen im realen Leben zu entheben scheint. Das „Sonnet. 1817“ kann man als didaktisch betrachten. Im ersten Quartett versucht das lyrische Ich dem Rezipienten einstimmend auf das Folgende,  den Schmerz um den Verlust einer „geliebte[n] Liebe“ zu erinnern und möchte ihn bewegen, auch die „Wonne des Harms „nachzuempfinden, wie sie aus vergossnen Tränen rühren kann, die „das Bild erneu’n der wonniglichen Einen“.
Das folgende Quartett vertieft nochmals die Gemütlichkeit des Verbleibens in solcher Stimmung. Doch wird mit dem konjunktivischen Modus bereits eine Alternative angedeutet. In den Terzetten wird diese Möglichkeit näher veranschaulicht. „Doch menschlicher“, hebt Wildenhayn mit Betonung des humanistischen Elements an, „menschlicher, sich alverlassen schauen“, anstatt dem Himmel sich zu einen. Der Realität sich stellen, „Stahlhellen Bliks in die Gefahr“ zu schauen und dabei zu vertrauen: „Alvaters Huld und, der in uns, dem Heiland“. Dies der
Zurück zu: Schriften / Ein Bild
„Glaube, der über jedem Hindernis den Sieg, über jeglichem Schmerz die Freude“Q weiß, den uns Wildenhayn hiermit näher bringen möchte.
Ebenso wie dieses Sonett, ist auch das zweite in der „Isis“ veröffentlichteZum Textaus einem gröseren Ganzen“ in jambischen Fünfhebern gehalten; eine Sonettform, wie sie seit Anfang des 18. Jhd. mit Verdrängung der ursprünglichen Alexandriner Geltung gewann.
Rein reflektierend entwickelt dieses Sonett die Gedanken des lyrischen Ichs. Zwar aus einem Sonettenkranze stammend, bildet es doch ein geschlossenes Ganzes. Aus finstern Träumen auferweckt steht das lyrische Ich noch ganz benommen und fühlt in sich hinein. Um die „halberwachte[n] Töne“ weis es, die sich nun in ihm aufschwingen „gleich dem Morgenrothe“. Der Schwan als Symbol verweist darauf, daß es sich bei den vernommenen Tönen um die der Poesie handelt
Q. Diese wird hier dem Tod gegenübergestellt. Sie gibt ihm die Kraft, sich den „Traumgedanken“ zu entschwingen, die so nahe dem Tode. In den beiden Terzetten nimmt die Rede appellative Gestalt an: die Poesie,
Zurück zu: Schriften / Ein Bild
„das Geheimnis der schönen Gestalt in hellen Tönen“Q, soll sich ihm ganz offenbaren. Doch ist ihm dies nicht genug; in der klimatischen Fortfolge steigert sich der Wunsch über Vollendung, Klarheit und Glanz bis hin zur Blendung! Auffallend, ähnlich „Während der Schlacht bei Lützen“, ist die Dominanz der Vokale a und o. Der häufige Wechsel der Bilder in diesem Gedicht, läßt es beim erstmaligen Lesen etwas unübersichtlich erscheinen.
Mit diesen beiden Sonetten bewies Wildenhayn, daß er der ästhetischen Norm, die zu damaliger Zeit ihnen beigemessen wurde, ganz entsprechen konnte.


Zum TextHimmelschlüssel  

Der volksliedhaften Lyrik sich nähernd, formt Wildenhayn ganze Hildebrandstrophen (Strophe aus acht Versen, drei Hebungen, wechselnde Kadenzen, Kreuzreim) nach. Deutlicher noch als im „Sonnet (aus einem gröseren Ganzen.)“, macht er das Motiv des Todes zum Thema. Die gefühlvolle Grundstimmung, welche die Strophen durchzieht, wird durch Worte wie „Herz“, „Liebe“, „Kummer“, „Harm“ und „Sele“ vermittelt.  Durch die Blumen, die der einsetzende Frühling emporsprießen läßt, fühlt das lyrische Ich sich gemahnt an die „lieben Todten“. Das Gedicht offenbart
Zurück zu: Schriften / Wort= und Menschen=Sinn
„das zarteste Einverständnis von Mensch= und Pflanzenleben in jenem Licht=Athmen7 der Verwesung“Q. Das Himmelsschlüsselchen ist die Blume, „die wie ein Schlüssel den Frühling aufschließt“Q, doch schließen sie eben auch den Himmel als Sitz der Toten auf. Dem lyrischen Ich verkörpern sich individuelle Tote in individuellen Blumen. Auf der Suche nach dem „liebe[n] Du das lange doch al= al=meine“ war, stellt sich das lyrische Ich vor, wie es die vom „Du“ gesandte Blume „auserfänd“ und mit der ewig Verlorenen sich wieder vereinte, „Bis im Gedüft nach oben / Mit ihr die Sele flög“. Der Wunsch nach Vereinigung mit dem Toten, ist auch Verlangen nach dem eigenen Tod, der Flucht vor sich selbst und dem eigenen In-der-Welt-sein. Mit der das Gedicht rethorisch schließenden Frage „Wie sol ich aufgenesen / Von solcher Wonne Harm“, wird des lyrischen Ichs Ratlosigkeit ausgedrückt und der Leser auf sich selbst zurückverwiesen, um sich tiefer mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen.


Zum Text„Ein Bild von diesjähriger Dresdner Ausstellung. August 1819“

Schon der Titel führt den Leser an den Schauplatz dieser Erzählung, in die Dresdner Gemäldegallerie. Die Datierung hebt die Authentizität der dargestellten Szenen hervor.
Umschlossen wird der Handlungskern von einer Rahmenhandlung, in der sich die beiden Protagonisten zufällig begegnen. Der eine bemerkt die Niedergeschlagenheit des andern: „O Freund, wie lange wilst Du doch den lichten Jugendhimmel Dir mit Flor verhängen und laublos dür und öde stehn, im Lenze, der nur einmal um Dich blüht“. Durch Erinnerung an schönere Zeiten, versucht er seine zerrüttete Lebenseinstellung zu richten, ihn aufzumuntern. Ohne Erfolg. Wieder hebt er Klage an, sieht „wie jezt die Sonne sich nach Westen wendet, [... wird auch er] zu Ende gehn, sie wird sinken, und in der Nacht [... ihm] Liebe, Lust und Kunst verloren sein“. Diese Erwähnung der Kunst und die Bemerkung das der Himmel sich lichtet, führt zum eigentlichen Thema über: der Landschaftsmalerei. In ihrem Gespräch reflektieren sie Sätze, die zum einen Teil der damals allgemeingültigen ästhetischen Normierung entsprechen mögen, andernteils aber individuelle Ansichten Wildenhayns widerspiegeln. Immer wieder flicht Wildenhayn auch Betrachtungen über seine Sprachkunde mit in den Dialog seiner Protagonisten ein: „Der Landschafter mus, [...] erlebte Formen schöpferisch, wie der Dichter die Sprache, brauchen und aus dem Wirklichen das Schöne leisten“, wäre ein Beispiel dafür.
Über die allgemeineren Kunstbetrachtungen gelangen die beiden endlich auch zu den spezielleren. Ein Klengelsches Bild wird hier erwähnt, „Hartmans Erlkönig“ sowie die beiden damals in Dresden lebenden und miteinander befreundeten Maler Johan Christian Dahl und Caspar David Friedrich. Ihre Bilder fanden in den laufenden Ausstellungen der Gemäldegallerie hohe Beachtung. Dies geht auch aus Försters Tagebucheintragungen hervor, welcher selbst mit ihnen bekannt war
Q. Wildenhayn läßt seine Protagonisten, der Kernhandlung sich nähernd, in die Gemäldegallerie eintreten. Hier macht der eine der beiden auf ein schon vorher erwähntes Bild Friedrichs aufmerksam. Bei der Betrachtung des Bildes gehen beide zunächst auf die Einzelheiten der dargestellten Winterlandschaft ein. Die „zwei dunkelnakten Baumstämme“, „die gothische Bogentrümmer [...] über dem verfallenen Gemäuer“, „der blendweise[] Schnee[,] die schwarzen Trauermäntel“ werden erwähnt, dem „offnen Grabe“ wird Beachtung geschenkt und selbst noch den „falbe[n] Grasspitzen“ Geltung zugemessen. Die Intensität des Gemäldes steigernd, wird sich ganz dahinein versetzt, „man möchte herumwaten im harschen Schnee durch die Gräber und sehen wie alles öd, ein Bild des starren Todes ist“. Zudem wird über das Zustandekommen der dargestellten Szenerie fabuliert, was sich zu philosophischen Betrachtungen erweitert: „Es ist die Abendfeier allen Seins, die Wende zwischen Tod und Leben, und wie der Sarg izt über der Schwelle schwebt, so stehen Zeit und Ewigkeit im Gleichgewicht“. Der von Wildenhayn auch in anderen Schriften mehrfach betonte „Dreiklang“ in Ton, Form (Raum) und Farbe wie er alles durchwaltet, wird ebenfalls in der Komposition der Bildelemente gesehen.
Zum Ende dieses harmonischen Dialogs hin, in dem sich beide in ihren Aussagen ergänzten, sind sie sich darüber einig, in diesem Kunstwerk ist „das Schöngedachte [...] wahr geworden, das Wahrhaftige wirklich“.
Das tiefe Versinken in diese Kunstschöpfung hebt die anfangs schwermütige Stimmung des einen Protagonisten. Mit den Worten: „Du hast mich erheitert, indem Du mich erhobst; das Erfreuliche trift mich in schönster Stimmung“, kann er sich dankend von seinem Freund trennen.





1 Eine Denkrichtung, die unter Beeinflussung der naturwissenschaftlichen Forschungen, die Meinung vertrat, daß alle Kulturerscheinungen sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten aus einem Urzustand entwickelt hätten.

2  In die Kapitel Rhythmik, Prosodie und Metrik, sollte sich diese Abhandlung auch unterteilen.

3 
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Die Kenntnisnahme Wildenhayns von dieser Schrift ist aus der Erwähnung Wolkes in Isis 1820, Sp. 153Q zu begründen.

4  Die Modifikation der Schreibung Schmidts lief freilich auch unter einer anderen Zielsetzung ab als noch die seiner Vorgänger, doch griff er dabei ebenso auf die etymologischen Ursprünge der indoeuropäischen Sprachgruppe zurück und bediente sich oft der noch vorhandenen Gleichlautung alter Stammsilben in den modernen Sprachen.

5  Dieses Gedicht ist auch schon in Schmidts Fouqué-Biographie abgedruckt, doch unter anderem Titel (Liedes-Gast). Auch in den einzelnen dort abgedruckten Versen zeigen sich Differenzen zum Original der „Isis“.

6  Die Schreibung „Sonnet“ wie Wildenhayn und Clodius sie hier noch verwendeten folgt der alten, wie sie bereits durch Martin Opitz für den deutschen Sprachraum kanonische Geltung erlangte.

7  Unter „Licht=Athmen“ verstand man zu damaliger Zeit das ewig sich wiederholende übergehen des Lebens in und aus dem Tod. Licht ist der Träger des Lebens, der alles Lebendigsein hervorbringt; das Athmen symbolisiert den ewigen ZyklusQ