|
Zu
Wildenhayns Werk
Erläuterungen
zu
ausgewählten Texten
„Urmas im Einklang:
zur
Wolbewegsamkeit der deutschen Sprache“ ⇑
⇓
|
|
|
So lautet die
letztgefaßte Betitelung Wildenhayns nie vollständig
veröffentlichter Abhandlung, deren Erläuterung ich an den
Anfang dieser Werkdarstellung setze. Die publizierten Fragmente in der
„Isis“ mögen genügen, um ein Bild dessen zu erstellen, was
Wildenhayn im „Urmas“ darlegen wollte. Seine übrigen Schriften
sollen unter dem Licht der darin enthaltenen Theorien anschaulicher
werden.
Seit Johann Christoph Gottsched in der ersten Auflage seiner „Poetik“
im Jahre 1730 dazu aufmunterte, deutsche Hexameter und überhaupt
ungereimte Verse zu machen, wuchs das Bemühen deutscher Dichter um
die Adaption des antiken Vorbildes. Rein praktisch gelang dieses
Vorhaben wohl Friedrich Gottlob Klopstock am frühesten mit seinen
deutschen Nachbildungen antiker „Oden“ (1747) und dem in Hexametern
verfaßten „Messias“ (1748). Später bemühte sich Johann
Heinrich Voß „in Theorie und Praxis um eine der neuen Dichtweise
angemessene Prosodie - unter Beachtung auch des prosodischen Werts der
Silbendauer“Q. Wildenhayn
hält diese geistige
Tendenz für eine „revolutionäre“:
„Es
hat sich aber das humanistische
Element als ein revolutionäres
beurkundet nicht nur an der Reformation, sondern auch neuerdings mit
weltbewegender Kraft geäusert, in der, seit Klopstok, Lessing,
Winkelman usw. beabsichtigten Einführung deselben in die
heimatliche, neuthümliche Bildung. Welche Folgenkette nun der
grosen Umwandlung, worin die deutsche Geister= und Gemüths=Welt
noch immer neu begriffen ist, sich dort anknüpfe, wo man began das
Plastische der
Alten, man möchte sagen, die nakte
Kunst, auch uns
volkthümlich zu machen, liegt vor Augen.“Q
|
Die
Ausbildung dieses Ideals bei Wildenhayn wurde schon während
seiner Gymnasialzeit begünstigt. In der Schrift von Christoph
Heinrich Ludwig Hußell heißt es: „die Schriften der alten
Griechen und Römer [waren] den Lehrern der Fürstenschulen die
größte Panacee“Q. Auch in
Christian
August Heinrich Clodius konnte Wildenhayn einen Verehrer antiker
Dichtung finden. Seinem „Entwurf einer systematischen Poetik“ bildete
Clodius hauptsächlich unter Anwendung griechischer und
lateinischer Textstellen heraus.
Gleichzeitig herrschte seit Johann Gottfried Herders Bemühungen um
eine Werthebung des Volkstümlichen in der Betrachtung der
Menscheitsgeschichte, eine Rückbesinnung auf die reichen Quellen
des eigenen Volksgutes.
Beide Ansprüche an Kunst, die Nachbildung antiker Form in der
Dichtung und die Hinwendung zum Volkthümlichen, sollten sich in
Wildenhayns „Urmas“ zu einem synthetischen Ganzen vereinen. Die Idee zu
dieser Verschmelzung scheint Wildenhayn aus dem damals jung erstandenen
Evolutionismus1
gewonnen zu haben. Dies
kann unter Heranziehung beispielsweise seines Gedichtes „Der
Gottesbaum“ behauptet werden. Auch dort findet sich die
Parallelisierung von organischer Evolution und der Entwicklung der
Kulturerscheinung Sprache wieder:
„Im
Anfang pflegte der alte Gott /
Ein Körnlein [...] das Körnlein heißet Laut, /
Der Baum heißt Sprache, die Wurzel Wort, / Das wuchs zur Sage im
Stamme fort. / Die singenden Blätter im Baumeszweig / Sind redende
Völker in manchem Reich. / Und duftet die Blüthe zum Himmel
hin, / Ist viel Kunst, Weisheit und Liebe drinn“Q. Auf die
Dichtung übertragend konnte
Wildenhayn davon ausgehen, daß die Dichtung der Antike als auch
die volkstümlich deutsche, einen gemeinsamen Ursprung habe.
Um dem Ideal griechischer und römischer Dichter sich unter
Verwendung der deutschen Sprache zu nähern, mußte versucht
werden, die Sprachregelungen wie sie bei ihnen Anwendung fanden auch
für die Muttersprache auszubilden. Zu diesem Versuch ist
Wildenhayns Bemühen
„um
Feststellung des Zeitmaslichen (der
Rhythmik, Prosodie und Metrik) im Deutschen“Q
zu verstehen2.
Wildenhayn behauptete in „Revolution“,
„man habe
gleich anfangs eine Hauptsache viel zu wenig beachtet;
unsern Reichthum nämlich an solchen Stam=sylben, die zu kurzem
Lauter auch einfachen Klinger und oft nicht einmal die Betonung haben,
oder - die Stam=Kürze!“Q Dies bezog er
auf die seit langem
begonnene Suche nach der passenden Prosodie der deutschen Sprache
für die Nachbildung antiker Versmase. Es weißt zugleich den
neuen Aspekt auf, den Wildenhayn für diese Suche gefunden hatte.
Auf die Bedeutung alter Stammsilben verwieß auch Christian
Hinrich Wolke in seinem 1812 erschienenen „Anleit zur deutschen
Gesamtsprache“3: „Di
Kentnis der Wurtseln gibt den Wórtern Licht
und Le\ben, iren Bedeutungen Gewisheit und Bestimtheit, welche sonst
lichtlos, dunkel, blind, to\dt - unerklàrba\r und kraftlos sind“Q. Wolke aber
verwieß darauf nicht im Zusammenhang
mit einem zu findenden Dichtmas.
In diesem Zitat Wolkes ist zu erkennen, wie er seine „im Sinne des
bekannten Klopstockischen Versuches [...] eigene phonetische
Orthographie zurechtgemacht“ hatQ. Und auch
Wildenhayn „entwirft, wie für jeden deutschen Dichter jener Zeit
anscheinend unerläßlich (siehe Klopstock, Jean Paul, etc.)
auch eine eigene Orthographie,
so daß
Oken einmal den Setzer
scherzhaft sich öffentlich ⇒
gegen die Vermutung oder den Vorwurf von Druckfehlern verwahren
läßt “: bemerkte Arno Schmidt in seiner
Fouqué-BiographieQ, der in seinem
Spätwerk ja selbst mehr und mehr zu einer eigenen Heterographie
fand.4
Wenn man die Schreibung der Worte zurückverfolgte bis zu den
Wurzeln denen sie entstammen, und daraus wieder emporsteige in die
eigene, ohne aber die
„Ueberladungen“
wieder hinzukommen zu lassen,
welche „ein Blick auf die Zeitfolge unserer Drukbücher und die
Handschriften der schwäbischen Zeit“ offenbart, könnte dann
nicht eine Annäherung der eignen Schriftsprache an jene Klarheit
erlangt werden, wie sie „im griechischen Muster vor Augen liegt“?Q Wildenhayn
entwickelte seine
Schreibart aus dem Bedürfnis heraus, damit einer quantitierenden
Prosodie zu entsprechen, wie sie für griechische Dichtung
bezeichnend ist. Die Schreibung sollte
„die
Darstellung des Langen als
lang, des Kurzen als kurz, mit bereits vorhandenen Mitteln“Q bewirken.
Wildenhayn wollte also nicht eine
neue Schreibweise „machtsprecherisch“ hinstellen, wie dies
beispielsweise Christian Hinrich Wolke mit seinem „Anleit“ zu erwirken
suchte, sondern
„algemach die
mögliche Klarheit wiedergewinnen“Q.
In einer Fußnote zur
Übersetzung „Katull’s Atüs“ ging er nochmal näher auf
seine Schreibung ein und betonte, sie „
verlangt nur
vom Aug’ aus, was
gute Vorleser und gewandte Sprecher vom Mund aus leisten, für’s
Ohr“Q.
Ähnlich äußerte
er sich in Bezug auf den natürlichen Sprechrhythmus, von dem er
zeigen wollte, wie wir ihn
„in allem
Leben unbewust besitzen“Q.
Er schöpfte also aus den Sprechgewohnheiten und der Sprache des
Volkes. Dabei beschnitt er die üblichen Schreibweisen, kürzte
auf „alte Stam=Sylben“ zurück um der Metrik antiker Dichtung
entsprechen zu können. Damit die Worte keine Entstellung bis zur
Unkenntlichkeit erfuhren, bezog er den Reichtum der deutschen Sprache
an Soziolekten mit in das Repertoire der Wortwahl ein. Schon unter
Abraham Gottlob Werners Schulung konnte er den Wert der eigenen
Muttersprache, zumal auch ihrer soziolektischen Randbereiche, erkennen
lernen. Werner setzte sich „mit der Geschichte der deutschen Sprache
und ihrem Ursprung ebenso auseinander[...], wie er die
Bedeutungsmodifikation und die Idiomatik der deutschen Bergmannssprache
(sächsisch, harzisch, und andere) untersuchte“Q. Auch Johann
Paul Friedrich Richter schreibt in seiner
„Vorschule zur Ästhetik“: „Unsere Sprache schwimmt in einer so
schönen Fülle, daß sie bloß sich selber
auszuschöpfen und ihre Schöpfwerke nur in drei reiche Adern
zu senken braucht, nämlich der verschiedenen Provinzen [...], der
alten Zeit und der sinnlichen Handwerkssprache“Q.
Beleg für die erfolgreiche Umsetzung Wildenhayns Sprachregelungen
bieten seine Übersetzungsleistungen und die meisten seiner
Gedichte.
In viele Richtungen liefen Wildenhayns Gedanken, die zur Ausmittlung
des antikisierenden Dichtmaßes wirken sollten. In der
„Blüthe deutschen Wort= und Menschen=Sinn’s“, stellte Wildenhayn
die Vermutung an:
„ob unsre
Sprache nicht ihre Pflanzlichkeit so
volständig ingeartet und eingewachsen besitze, das eben jetzo die
Wurzel des alten Stams (Wurzel=Urt=Ort=Wort) für jedes Blat unsrer
Bücherreichen Kunde ein Blüthenblätchen deutscher
Benamung triebe“Q.
Dabei gedachte er
„des
frühesten Verkehrs der Menschheit mit der Pflanzenschaft,
welcher das Buch nur von der Buche benante“Q
und wollte nun auch für andere Worte die Verwandschaft mit
Pflanzennamen erkunden. Die Idee dazu bot wohl Lorenz Oken, welcher in
seinem „Pflanzensystems“ die taxonomische Nomenklatur mit deutschen
volkstümlichen Bezeichnungen besetzte.
Im selben Stück spricht Wildenhayn noch einen anderen Aspekt der
Sprachgeschichtsforschung an:
„Ich meine
das ernstlich genug, zu
glauben, im Verständnis des Menschenwortes sei auch dem Erforscher
des Wesens der Dinge mancher Aufschlus gegeben“Q. Diesen
Anspruch an des Menschen Wort konnte Wildenhayn
auch bei Abraham Gottlob Werner finden, dem seine zahlreichen
„fremdsprachigen nicht-montanistischen Schriften nicht nur Hilfsmittel
zum Erlernen und Festigen bestimmter Sprachkenntnisse [waren], sondern
sie eröffneten ihm auch den Zugang zur Geschichte und Kultur
anderer Völker. In diesem Sinne verstand ABRAHAM GOTTLOB WERNER
die Sprachen als ein Stück Menschheitsgeschichte“Q.
Für Wildenhayn waren Geschichtsstudien gleichbedeutend mit den
Studien der Sprache. In seinen „Erinnerungen an eine Deutsche
Geschichtsschreibung“ spricht er vom „Urmas“ als seines
„auch
höchstgeschichtlichen Hauptwerkes“Q.
Bei seinen
Erforschungen der Völker, Sprachen und Zeiten fand er nicht nur,
wie vor ihm schon andere, eine auffällige Übereinstimmung in
der Lautgestalt vieler Sprachen, sondern ebenso fiel ihm auch eine
Ähnlichkeit in der Form ihres literarischen Erbes auf:
„Die erste
hinreichende Ruhe zum ersten Versuche einer auch masgetreuen
Übersetzung des Grimnismals enthüllte die Urgestalt genauso
wie ich nach tausendfachem Umherwählen als eine deutsch
ächteste dieselbe für heute noch selbständig ermittelt
und namentlich für Ausführungen weihwortlichen Gehaltes
bestimmt hatte: Slokas mit Stabreim, ja das Wortmasliche dabei
entsprach demjenigen das ich mir gefunden, wovon ich öffentlich
Probe abgelegt; wobei freilich indische Messung schon bedacht war, nur
das die alte Sprache bei weitem reinlautiger auftrit als unsere daraus
entstellte“Q.
|
Einiges zu den „Proben
aus Völuspa“ ⇑ ⇓
In seinem wohl letzten großen Vorhaben, der Entschlüsselung
der Alten Edda, fanden sich die Ergebnisse all seiner Studien in eins.
Was als Proben dazu im Sächsischen Hauptstaatsarchiv noch lagert,
entspricht in keiner Weise herkömmlichen Übertragungen, nicht
der Simrocks, nicht der Genzmers, welche mir zum Vergleich vorlagen;
schon die angewandte Methode der Übertragung scheint mir
einzigartig, neu. Inwieweit sie wissenschaftlichen Ansprüchen
genügt, kann ich
nicht sagen. Allgemein muß aber gesehen werden, daß jede
interlinguale Übersetzung auch eine Interpretation impliziert und
„eine sprachliche, literarische und kulturelle Produktivität
[entfaltet], die eine Bereicherung der Zielkultur darstellt“Q. Dies gilt
freilich auch für all die anderen
Übersetzungen Wildenhayns, besonders aber doch für die
hier
besprochene.
Die Schriftstücke, deren möglichst getreue Abschrift versucht
wurde, gliedern sich wie folgt:
Blatt 1 beinhaltet eine Abschrift der ersten Zeilen des
Codex regius; auf den folgenden Seiten
findet sich:
• eine
Rückführung diesen Textes zu indogermanischen (?)
Worten und strophische Gliederung zu je zwei Slokas pro
ursprünglicher Strophe;
• darüber
eine Umschrift dieser Verse in Runenschrift;
• unter diesen
beiden typographisch hervorgehobenen Zeilen führte
er, gleich Variationen dieser, eine Reihe Verse gleicher Silbenzahl und
ähnlicher Lautigkeit aus verschiedenen Schriften unterschiedlicher
Epochen indogermanischer Kulturen an;
•
kommentierend zu diesem überraschenden Gleichklang der Stimmen
vieler Völker gibt er im Folgenden Anmerkungen zu einzelnen Worten
und führt sein Verständnis ihrer Ethymologie auf.
Diese vorgehensweise wiederholte er für alle drei anfangs
aufgeführten Strophen des Codex regius, wobei von besonderem
Interesse die Variationen zu Strophe drei sind, der er besondere
Aufmerksamkeit schenkte und die vollständige Umschrift „in
römische Lesart“ auf den folgenden Seiten lieferte ⇒. Dazu gibt
er in den Anmerkungen an: „Obige 32. Strophen
ergaben sich aus 15 Zeilen des ersten Entwurfes durch wiederholte
Bearbeitung“.
Die von diesem Text gemachte Abschrift ist leider nicht
vollständig: im Originaldokument befand sich gegenüber den
Seiten mit dem deutschen Wortlaut eine wohl ursprünglichere
lateinische Übertragung; deren Abschrift hätte aber noch
mindestens zwei weiterer Tage bedurft hätte - vielleicht
später. Zum besseren Verständnis des Textes
hätte sie sicherlich beitragen können, vor allem wo einzelne
Worte in der dt. Übertragung, zumindest anfänglich,
unverständlich bleiben. So beispielsweise das Wort „Eswaar“
(Str.1, Z.1), welches doch nichts anderes bedeutet als
Eß-, Speise-Ware, in diesem Fall Honig, was aber beim ersten
lesen kaum zu fassen ist. Das mhd. var, auch ver, als auch das lat. ver
&c., besitzen tatsächlich die hohe Varianz der Bedeutung wie
Wildenhayn sie hier gebrauchte.
Über die Methode dieser Umschrift wage ich nicht zu urteilen; ihr
Produkt allerdings mag als Beitrag gelten zu weiterer Entmystifizierung
auch dieser „heiligen Schrift“.
Waldos Tod ⇑
⇓
In
seinem ersterschienenen Gedicht „Waldos Tod“ nimmt Wildenhayn Bezug
auf den Volksglauben der Germanen. Sein Held Waldo oder auch „Siegwald
der Starke zugenannt“ liegt auf seinem Sterbelager gebettet. Die Sorge,
nicht durch fremde Hand in den Tod geschickt zu werden, sondern
kränkelnd dahinzusiechen und nach seinem Sterben nicht das
Privileg zu erhalten, als Einherjer Walhall zu beziehen, führt ihn
dahin, seine drei Söhne zu sich zu bitten. Einer von ihnen soll
das Schwert führen, daß ihn tödlich verwundet. Keiner
jedoch findet sich bereit. Daraufhin „schloß er seine Augen und
sank in Todesgraun“. Doch beginnt es nun um das Haus laut zu tosen.
Waldo ist es, als ob die er „gefällt im Streite“ ihn „gar
erwürgen wollen“, ohne das ein „Tröpflein“ seines „Blutes dem
Gott zur Sühne rann“. Doch anstatt dieser erscheint „ein hoher
Greis, / der sah mit Feueraugen aus Haaren grau wie Eis“. Jener fordert
ihn sogleich zum Kampf heraus. „Man mochte Wunder schauen, wie grimm
ihr Fechten war, / Daß sie’s gelernt mit Fleiße, das ward
wohl offenbar“. Erst als Waldo tödlich getroffen wird, rät
er, daß der Fremde Wodan selber sein müsse. Worauf ihm
dieser entgegnet: „Hast wohl gerathen Waldo, hast wohl gefochten Sohn,
/ So nimm in Wodans Halle den Trunk zum Heldenlohn“.
Dieses aus 39 regelrechten Nibelungenstrophen (erster Halbvers aus drei
Hebungen und weiblicher Kadenz, zweiter Halbvers aus drei Hebungen und
männlicher Kadenz; vier Verse in Paarreim) bestehende Gedicht
vereint lyrische mit epischen und dramatischen Elementen. Letzteres
ergibt sich aus der wörtlichen Rede, das Epische aus dem
konstruierten Erzählverlauf. Die Verwendung fester Strophenform
verweist auf Wildenhayns bewußte Hervorhebung der poetischen
Funktion innerhalb des Rezeptionsprozesses. Im Mittelpunkt steht Waldo,
als der Held der Handlung. Aus den genannten Elementen ergibt sich die
lyrische Form der Heldenballade.
Während der
Schlacht bei
Lützen ⇑ ⇓
Ein Stück ganz eigener Art bildet Wildenhayns Gedicht
„Während der Schlacht bei Lützen“. Zwar reiht es sich in die
Folge der die Freiheitskriege verherrlichenden Gedichte ein, doch ist
es Wildenhayns einziges Gedicht in welchem er aktuelles Tagesgeschehen
aufgreift. Ganz dem Ernsthaften des Themas angemessen, heben die
einzelnen Verse trochäisch an. Die wiederholte Aufforderung „Horch
[...], horch“ gemeinsam mit der nachfolgenden Frage im ersten Vers,
leitet das Gedicht beinahe bang und zögernd klingend ein. Das
lyrische Ich nimmt darin das fiktive Zwiegespräch mit einer
Nachtigall auf. Bedenkt man den philhellenischen Geist Wildenhayns,
kann man den Symbolgehalt, welchen die alten griechischen Dichter
diesem Vogel beigaben, hier in Anklang bringen. Diese sahen in der
Nachtigall den heiligen Vogel der Poesie, als auch ein Sinnbild
für Liebe und Trauer. „voll Inbrunst schmachtigen Liebesgesang“
schmettert sie „blüthenumfüllt“, „Wonnegelock“: die
„Maienverkündigerin“, denn als solche betrachtet man sie in
mitteleuropäischen LandschaftenQ.
Im Gegensatz zu dem zögernden Beginn hebt der zweite Vers mit der
Interjektion „Ha“ an und klingt mit gedoppelter Choriambe kraftvoll
aus. Die emotive Funktion der den Vers anhebenden Interjektion wird
durch sein enormes Anschnellen verstärkt, bewirkt durch das
Zusammentreffen von metrischer Hebung und Iktus auf dieser Silbe. Ihr
folgt die Antwort auf die im ersten Vers der Nachtigall gestellten
Frage: „‘s war Donner“. Eingeleitet durch die emphatische Interjektion
„o“ berichtigt das lyrische Ich die vorangegangene Aussage dann und
konkretisiert sie mittels der Correctio: „nicht Donner von oben
herab!“, bezieht sich demnach auf den „gewaltige[n] Klang“ des
Geschützdonners.
Die Verschiedenheit im Rhythmus der beiden einleitenden Verse wird
durch die Harmonie des Klanges wieder aufgehoben. Ist die Lautfolge der
Hebungen im ersten Vers o a a o a a, verbindet sich wie spielend mit
ihr die Lautfolge des zweiten Verses a o o o o a. Die Dominanz der
Vokale a und o durchzieht auch das gesamte Gedicht und trägt durch
die Bildung häufig wiederkehrender Assonanzen zum Wohllaut dieses
reimlosen Gedichtes bei. In diesem Vorgehen Wildenhayns könnte man
den Einfluß Clodius’ vermuten, welcher behauptete: „Das o und das
a wird [...] die Assonanz sehr musikalisch machen, wenn es sich als
herrschend zeigt“Q.
In den folgenden vier Versen stellt Wildenhayn das Himmlische dem
Irdischen gegenüber. Als Symbol für das Himmlische figurieren
sowohl die Nachtigall, als auch das „schwüle Gewitter“.
Gegenüber dem „Wonnegelock“ des Vogels hallt entzückender
„der gewaltige Klang da herüber“. Mit Euphorie möchte sich
das lyrische Ich „begeistrungkühn“ zu der Schlacht
„hinstürzen“, „wo die Freiheit aus gluthrothem Gewölk sonnig
am Himmel erwacht“. Der metaphorische Gebrauch des „allrosigen Regens“
für das vergossene Blut der Freiheitskämpfer, welches „die
durstige Saat überrinnt“, ergibt die Aussage, daß dieses
Blut nicht umsonst floß, sondern „Hoffnung“ weckt auf Neubeginn.
Auch die beiden letzten Verse beziehen sich auf Himmlisches und
Irdisches. Daß „der Freiheitschlacht brünstige Donner“,
„droben dem Herrgott klingen“ mögen „gleich Nachtigalllaut“,
führt zur Verbindung des Gegenpaares.
In der Metrik des Gedichtes überwiegen Choriamben, wozu vor allem
Wortschöpfungen wie „blüthenumfüllt“, „Wonnegelock“,
„Donnerumhallt“ und „Nachtigalllaut“ beitragen. Wechselweise haben die
Versenden männliche und weibliche Kadenz.
Glückauf ⇑ ⇓
Auf den Tod Abraham Gottlob Werners, schrieb Wildenhayn das als Nachruf
gedachte Lied „Glückauf!“. Werner dient hier dem lyrischen Ich im
Traum
„als
Führer durch das Reich [...] das er geistig besas“Q. Gemeint ist
damit die von Werner
begründete Wissenschaft der Gebirgskunde. Zur Darstellung dieses
„Reichs“ verwendet Wildenhayn die
„bergmännische[]
Kunstsprache“,
denn „warum sol diese nicht auch ihre Dichtung haben wie jede andere,
da sie volkthümlich ist?“Q.
Dieser
Soziolekt widerspiegelt sich beispielsweise in den Worten
„Gezähe“, „Firsten, Ort und Strossen“, „Flötz“ und „Wacken“.
Wie bei einer Exkursion wird das lyrische Ich durch seinen „Meister“ in
die Tiefen eines Bergwerkes geführt. Auch in Novalis’ „Heinrich
von Ofterdingen“ erfährt der Protagonist Naturgeschichte auf einem
Gang durch ein Bergwerk. Zu bemerken ist hier, daß schon Novalis
ein Schüler Abraham Gottlob Werners war. In Wildenhayns Text
erfährt das lyrische Ich die Entwicklungsstufen der Natur von
ihrer „krystallinischen Bildung“ über die Belebung des
Anorganischen durch den „Magnetismus“ bis hin zum organischen Leben,
wie er selbst in seiner Anmerkung „Bey Übersendung dieses Liedes“
erläutert. Diese Betrachtungsweise geht Hand in Hand mit den
damals üblichen Verbildlichungen zur Entwicklungsgeschichte des
Lebens. Als Beispiel kann ich die Beiträge zur Evolution des
menschlichen Geistes von Johann Christian August Grohmann in „Nasse’s
Zeitschrift für psychische Aerzte“Q hier
anführen, oder auch
Lorenz Okens „Naturphilosophie“Q.
In den Strophen drei bis sechs werden diese „Hauptbildungszeiten in
umgekehrter Ordnung“ veranschaulicht. Anfangs erscheinen organische
Lebensformen in Gestalt fossilierter Pflanzen und Tiere vor den Augen
des lyrischen Ichs. Mit dem Vers „Seit Feste sich aus Meer begann zu
lichten“ verweist Wildenhayn auf die neptunistische Ansicht Werners zur
Entstehungsgeschichte der festen Erdmassen. „Und weiter gings“, vorbei
am „Sud [...] wo kühle Salzquelzüge gehn auf Klüften“
bis in „die festen Wacken / Da Muschel noch und Pflanzenthier sich
halten“. Veranschaulicht durch eine Wünschel-“Ruthe“, die schlug
und den beiden Protagonisten den „Urquell“ wies, wird auf die alles
verbindende Kraft des „Magnetismus“ hingedeutet. Die telluren Bildungen
erscheinen dem lyrischen Ich in „Silberbäumlein [die] krochen /
Goldfrüchteschwer von Blüteglanz beschienen“. Durch weitere
geistige Reflexion des soeben Beschauten, offenbart sich dem lyrischen
Ich der Ursprung allen Werdens in „Gotgefühlen“, die ihn „hoch
beglücken“. Aus Dankbarkeit für das Erfahrene, möcht er
dem Führer „die Händ’ vor Liebe drücken“ und fragt „Wie
[...] o Meister, sol ich danken?“. Nach dieser rethorischen Frage hebt
Wildenhayn Werners hohe Bedeutung für die Monanwissenschaften
hervor: „Dein Name gilt im Bau der Norderwende, / Ihn rühmt der
Hütner am Potosi=Schachte“. Abschließend kehrt die Dichtung
zur Wirklichkeit zurück; durch ein Klopfen an der Tür erwacht
das lyrische Ich und erhält die Todesnachricht Werners.
Liebes=Gast ⇑
⇓
Ein
„bereits
1813, auf das Versprechen Gedichtete, auch einmal Elegien,
wen selber keine römischen - aber vielleicht deutsche, zu geben“
entstandenes Gedicht, ist „Liebes=Gast“5.
Wildenhayn selbst bittet bei der Veröffentlichung
des Gedichtes in der Isis 1820 Sp.7: es „nicht
für
eine Probe meiner neuverhiesenen Wortmaslichkeit (Prosodie) zu
misdeuten; wiewol es
als
Maximum dessen
gelten kan, was nach bisherigen
Grundsätzen zu leisten stand, die Übergänge zum
volksliedlich=Freieren schon entwickelnd“Q.
Wie bereits in Wildenhayns: „Während der Schlacht bei
Lützen“, führt auch hier das lyrische Ich ein
Zwiegespräch mit einem Tier, wobei es sich in diesem Fall um ein
Roß handelt. Für die Spielarten russischen, erotischen
Volksgutes, weist Roman Jakobson auf die Verwendung des „schnaubenden
Rosses“ als Männlichkeitssymbol hinQ; es ist
wahrscheinlich, daß man dieses auch auf den deutschen
Sprachgebrauch beziehen kann. Dem griechischen Geographen Artemidoros
galt das Pferd als Symbol des LiebesglücksQ. Die
Verheißung darauf treibt das lyrische Ich auf seinem Roß
reitend „blizschnel hinte gen Elberaburg“, erahnend der Liebsten Worte,
die sie „im trauten Gemach“ an ihn richtet: „Aber gelangt’ er
anheim, sol Nachtherberge
bereit seyn, / Für die bestandne Gefahr desto ‘ne seligere“. In
Gedanken stellt er sich Szenen vor, die sich im Augenblick mit der
Geliebten zutragen könnten. Sein wechselnder Mut spiegelt sich in
den verschiedenen Färbungen dieser einzelnen Szenen wider, was die
hierbei von Wildenhayn verwandte Form der wörtlichen Rede
verstärkt zum Ausdruck bringt. Erwartungsvoll und ungeduldig
treibt der Reiter das Roß beständig an: „Greife gewaltiger
aus gut Ros, durchfliege den Nachtwind“. Im sechsten Distichon hebt
eine Sentenz an, welche variiert im fünfzehnten Distichon
wiederkehrt. In beiden nimmt Wildenhayn Bezug zu sich während der
„Nachtwalfarth“ abspielenden Naturbegebenheiten. Die erste Sentenz
greift die Kranichschar auf, deren „Fitticheschlag [...] durch die
Gewölk’ anwimmelt“. Kraniche galten zu allen Zeiten als Sinnbild
der Sehnsucht, der Liebe und der TreueQ. In diesem
Sinne endet die Sentenz mit: „Windschnel Kranicheflug, blizschnel sind
Minnegedanken“. In der zweiten durchquert ein „Waldstrom“, der „wilde
geworden“ den Weg. Doch „Wogte die See statt Nebel umher aldurch die
Gebirge: / Flöge von Höhe zu Höh Liebe doch ohne
Gefahr“. Der abschließende Hexameter paßt „Windschnel
Kranicheflug“ durch die Worte „Pfeilschnel Wogenergus“ dem
Vorhergegangenen an und repetiert „blizschnel sind Minnegedanken“.
Ähnlich der dritten Elegie des ersten Buches Tibulls, zu der
Clodius sagte,
daß sie „aus dem reizend Schönen ins
Grausende über[geht]. Aber es ist dieses nur sanftgrausend und der
Übergang selbst ist nicht schnell“Q,
verfährt auch
Wildenhayn. Ein „Burgmütterchen [...] Sitzt, und spint langaus
[...] Unter’m Spillegesur graunhaftige Wundergeschichten, / Wie Frau
Holla genung nächtliche Reuter gelokt; / „Hold anfangs, mit dem
Irlichtlein, jedoch al die Bethörten / „Fand man am Felsabsturz,
oder gewürgt im Morast““. Aufgrund dieser Erzählung wird die
Phantasie des Mädchens so entfacht, daß ihr das „Thür=
und Fenstergekrach [...] im alten Gebäu“, als die Schritte des
Nahenden erscheinen. Mit der klimatischen Struktur: „Tritfest schreitet
es an; treppauf; nun klingt es - er ist es: - / Ha, sein Geist nur trit
blutigen Hauptes herein, / Hebt die bedrohliche Hand; sinkt ein -
aufächzet die Arme, / Tödlichen Falls Wahnbild schaut die
Gepeinigete“, erreicht Wildenhayn höchsten Spannungsverlauf. Er
läßt ihn aber nicht abschnellen, sondern gemächlich
verklingen. Durch die Anzahl der das Grausen ausdrückenden
Worte, wie „Uhuruf“, „Mitnacht“ und „Geistergelispel“, die im
weiteren Verlauf der Elegie abnimmt, wird dies erreicht. Die Geister,
die er vernimmt, „walten in Feu’r und Luft, Wasser und Erde gewis“:
„jedoch al der Uebergewaltigen ist Minne die Bändigerin!“ Ihren
Ausgang findet die Elegie schließlich in dem Vernehmen von
„Hundegebell“ und „Wächtergesang; Windstille mit einmal: / Las ab;
volmondhel raget das Elberaschloß!“
Im Hinblick auf die Sprache wird das gesamte Gedicht von
onomatopoetischen Ausdrücken durchzogen, wie beispielsweise
„sausen“, „Regengeprassel“, „brausen“, „klirret“ und „krachts“. Dadurch
gelingt es Wildenhayn, die Naturklänge in die Worte aufzunehmen
und eine gewisse Authentizität zu erreichen.
Durch die Lage der häufig verwandten harten Explosivlaute p, t und
k bei den auf der Betonung liegenden zumeist kurzen Silben, wird die
Elegie rhythmisch beschleunigt und kraftvoll in ihrer Lautigkeit. Dazu
tragen auch die durch die zahlreichen Ellipsen häufig bewirkten
Zäsuren in den einzelnen Hexa- und Pentametern bei; wie zum
Beispiel „Ebene Bahn waldein; Wipfelgesause voraus“ oder „treppauf; nun
klingt es - er ist es“.
Die Sonette
Wildenhayns ⇑ ⇓
„Nimmt man das, was [...] Kunstrichter über das Wesen des Sonnets
sagen, zusammen, so ist wohl der Hauptcharakter des Sonnets
eine zärtliche
platonische Empfindung
[...] verbunden mit dem
größten musikalischen Wohlklang“Q.
„O, ich weis,
es giebt eine Wonne des Harms und die gönn’ ich Dir
“: heißt es in „Ein Bild“Q,
in
dessem ersten Abschnitt Wildenhayn das Thema des„Sonnet.
1817“6 prosaisch verarbeitet. Hier
wie dort geht er auf das Sich-Hingeben an
den Schmerz ein, welches zur inneren Verarbeitung des erlittenen
Geschehens zwar vonnöten ist, aber auch zu einem gemütlichen
Verharren darin werden kann und uns der Verantwortung gegenüber
dem Bestehen im realen Leben zu entheben scheint. Das „Sonnet. 1817“
kann man als didaktisch betrachten. Im ersten Quartett versucht das
lyrische Ich dem Rezipienten einstimmend auf das Folgende, den
Schmerz um den Verlust einer „geliebte[n] Liebe“ zu erinnern und
möchte ihn bewegen, auch die „Wonne des Harms „nachzuempfinden,
wie sie aus vergossnen Tränen rühren kann, die „das Bild
erneu’n der wonniglichen Einen“.
Das folgende Quartett vertieft nochmals die Gemütlichkeit des
Verbleibens in solcher Stimmung. Doch wird mit dem konjunktivischen
Modus bereits eine Alternative angedeutet. In den Terzetten wird diese
Möglichkeit näher veranschaulicht. „Doch menschlicher“, hebt
Wildenhayn mit Betonung des humanistischen Elements an, „menschlicher,
sich alverlassen schauen“, anstatt dem Himmel sich zu einen. Der
Realität sich stellen, „Stahlhellen Bliks in die Gefahr“ zu
schauen und dabei zu vertrauen: „Alvaters Huld und, der in uns, dem
Heiland“. Dies der
„Glaube, der
über jedem Hindernis den Sieg,
über jeglichem Schmerz die Freude“Q
weiß, den uns Wildenhayn hiermit näher bringen
möchte.
Ebenso wie dieses Sonett, ist auch das zweite in der „Isis“
veröffentlichte„aus einem
gröseren Ganzen“ in jambischen
Fünfhebern gehalten; eine Sonettform, wie sie seit Anfang des 18.
Jhd. mit Verdrängung der ursprünglichen Alexandriner Geltung
gewann.
Rein reflektierend entwickelt dieses Sonett die Gedanken des lyrischen
Ichs. Zwar aus einem Sonettenkranze stammend, bildet es doch ein
geschlossenes Ganzes. Aus finstern Träumen auferweckt steht das
lyrische Ich noch ganz benommen und fühlt in sich hinein. Um die
„halberwachte[n] Töne“ weis es, die sich nun in ihm aufschwingen
„gleich dem Morgenrothe“. Der Schwan als Symbol verweist darauf,
daß es sich bei den vernommenen Tönen um die der Poesie
handeltQ. Diese wird
hier dem Tod
gegenübergestellt. Sie gibt ihm die Kraft, sich den
„Traumgedanken“ zu entschwingen, die so nahe dem Tode. In den beiden
Terzetten nimmt die Rede appellative Gestalt an: die Poesie,
„das
Geheimnis der schönen Gestalt in hellen Tönen“Q, soll sich ihm
ganz offenbaren. Doch ist ihm dies
nicht genug; in der klimatischen Fortfolge steigert sich der Wunsch
über Vollendung, Klarheit und Glanz bis hin zur Blendung!
Auffallend, ähnlich „Während der Schlacht bei Lützen“,
ist die Dominanz der Vokale a und o. Der häufige Wechsel der
Bilder in diesem Gedicht, läßt es beim erstmaligen Lesen
etwas unübersichtlich erscheinen.
Mit diesen beiden Sonetten bewies Wildenhayn, daß er der
ästhetischen Norm, die zu damaliger Zeit ihnen beigemessen wurde,
ganz entsprechen konnte.
Himmelschlüssel ⇑ ⇓
Der volksliedhaften Lyrik sich nähernd, formt Wildenhayn ganze
Hildebrandstrophen (Strophe aus acht Versen, drei Hebungen, wechselnde
Kadenzen, Kreuzreim) nach. Deutlicher noch als im „Sonnet (aus einem
gröseren Ganzen.)“, macht er das Motiv des Todes zum Thema. Die
gefühlvolle Grundstimmung, welche die Strophen durchzieht, wird
durch Worte wie „Herz“, „Liebe“, „Kummer“, „Harm“ und „Sele“
vermittelt. Durch die Blumen, die der einsetzende Frühling
emporsprießen läßt, fühlt das lyrische Ich sich
gemahnt an die „lieben Todten“. Das Gedicht offenbart
„das zarteste
Einverständnis von Mensch= und Pflanzenleben in jenem Licht=Athmen7
der Verwesung“Q.
Das
Himmelsschlüsselchen ist die Blume, „die wie ein Schlüssel
den Frühling aufschließt“Q, doch
schließen
sie eben auch den Himmel als Sitz der Toten auf. Dem lyrischen Ich
verkörpern sich individuelle Tote in individuellen Blumen. Auf der
Suche nach dem „liebe[n] Du das lange doch al= al=meine“ war, stellt
sich das lyrische Ich vor, wie es die vom „Du“ gesandte Blume
„auserfänd“ und mit der ewig Verlorenen sich wieder vereinte, „Bis
im Gedüft nach oben / Mit ihr die Sele flög“. Der Wunsch nach
Vereinigung mit dem Toten, ist auch Verlangen nach dem eigenen Tod, der
Flucht vor sich selbst und dem eigenen In-der-Welt-sein. Mit der das
Gedicht rethorisch schließenden Frage „Wie sol ich aufgenesen /
Von solcher Wonne Harm“, wird des lyrischen Ichs Ratlosigkeit
ausgedrückt und der Leser auf sich selbst zurückverwiesen, um
sich tiefer mit diesem Gedanken auseinanderzusetzen.
„Ein Bild von
diesjähriger
Dresdner Ausstellung. August 1819“ ⇑
Schon der Titel führt den Leser an den Schauplatz dieser
Erzählung, in die Dresdner Gemäldegallerie. Die Datierung
hebt die Authentizität der dargestellten Szenen hervor.
Umschlossen wird der Handlungskern von einer Rahmenhandlung, in der
sich die beiden Protagonisten zufällig begegnen. Der eine bemerkt
die Niedergeschlagenheit des andern: „O Freund, wie lange wilst Du doch
den lichten Jugendhimmel Dir mit Flor verhängen und laublos
dür und öde stehn, im Lenze, der nur einmal um Dich
blüht“. Durch Erinnerung an schönere Zeiten, versucht er
seine zerrüttete Lebenseinstellung zu richten, ihn aufzumuntern.
Ohne Erfolg. Wieder hebt er Klage an, sieht „wie jezt die Sonne sich
nach Westen wendet, [... wird auch er] zu Ende gehn, sie wird sinken,
und in der Nacht [... ihm] Liebe, Lust und Kunst verloren sein“. Diese
Erwähnung der Kunst und die Bemerkung das der Himmel sich lichtet,
führt zum eigentlichen Thema über: der Landschaftsmalerei. In
ihrem Gespräch reflektieren sie Sätze, die zum einen Teil der
damals allgemeingültigen ästhetischen Normierung entsprechen
mögen, andernteils aber individuelle Ansichten Wildenhayns
widerspiegeln. Immer wieder flicht Wildenhayn auch Betrachtungen
über seine Sprachkunde mit in den Dialog seiner Protagonisten ein:
„Der Landschafter mus, [...] erlebte Formen schöpferisch, wie der
Dichter die Sprache, brauchen und aus dem Wirklichen das Schöne
leisten“, wäre ein Beispiel dafür.
Über die allgemeineren Kunstbetrachtungen gelangen die beiden
endlich auch zu den spezielleren. Ein Klengelsches Bild wird hier
erwähnt, „Hartmans Erlkönig“ sowie die beiden damals in
Dresden lebenden und miteinander befreundeten Maler Johan Christian
Dahl und Caspar David Friedrich. Ihre Bilder fanden in den laufenden
Ausstellungen der Gemäldegallerie hohe Beachtung. Dies geht auch
aus Försters Tagebucheintragungen hervor, welcher selbst mit ihnen
bekannt warQ. Wildenhayn
läßt seine Protagonisten, der Kernhandlung sich
nähernd, in die Gemäldegallerie eintreten. Hier macht der
eine der beiden auf ein schon vorher erwähntes Bild Friedrichs
aufmerksam. Bei der Betrachtung des Bildes gehen beide zunächst
auf die Einzelheiten der dargestellten Winterlandschaft ein. Die „zwei
dunkelnakten Baumstämme“, „die gothische Bogentrümmer [...]
über dem verfallenen Gemäuer“, „der blendweise[] Schnee[,]
die schwarzen Trauermäntel“ werden erwähnt, dem „offnen
Grabe“ wird Beachtung geschenkt und selbst noch den „falbe[n]
Grasspitzen“ Geltung zugemessen. Die Intensität des Gemäldes
steigernd, wird sich ganz dahinein versetzt, „man möchte
herumwaten im harschen Schnee durch die Gräber und sehen wie alles
öd, ein Bild des starren Todes ist“. Zudem wird über das
Zustandekommen der dargestellten Szenerie fabuliert, was sich zu
philosophischen Betrachtungen erweitert: „Es ist die Abendfeier allen
Seins, die Wende zwischen Tod und Leben, und wie der Sarg izt über
der Schwelle schwebt, so stehen Zeit und Ewigkeit im Gleichgewicht“.
Der von Wildenhayn auch in anderen Schriften mehrfach betonte
„Dreiklang“ in Ton, Form (Raum) und Farbe wie er alles durchwaltet,
wird ebenfalls in der Komposition der Bildelemente gesehen.
Zum Ende dieses harmonischen Dialogs hin, in dem sich beide in ihren
Aussagen ergänzten, sind sie sich darüber einig, in diesem
Kunstwerk ist „das Schöngedachte [...] wahr geworden, das
Wahrhaftige wirklich“.
Das tiefe Versinken in diese Kunstschöpfung hebt die anfangs
schwermütige Stimmung des einen Protagonisten. Mit den Worten: „Du
hast mich erheitert, indem Du mich erhobst; das Erfreuliche trift mich
in schönster Stimmung“, kann er sich dankend von seinem Freund
trennen.
|
|
|
1 Eine
Denkrichtung, die unter Beeinflussung der naturwissenschaftlichen
Forschungen, die Meinung vertrat, daß alle Kulturerscheinungen
sich nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten aus einem Urzustand
entwickelt hätten.
2 In die
Kapitel Rhythmik, Prosodie und
Metrik, sollte sich diese Abhandlung auch unterteilen.
3
Die
Kenntnisnahme Wildenhayns von
dieser Schrift ist aus der Erwähnung Wolkes in Isis 1820, Sp. 153Q zu begründen.
4 Die
Modifikation der Schreibung
Schmidts lief freilich auch unter einer anderen Zielsetzung ab als noch
die seiner Vorgänger, doch griff er dabei ebenso auf die
etymologischen Ursprünge der indoeuropäischen Sprachgruppe
zurück und bediente sich oft der noch vorhandenen Gleichlautung
alter Stammsilben in den modernen Sprachen.
5 Dieses
Gedicht ist auch schon in
Schmidts Fouqué-Biographie abgedruckt, doch unter anderem Titel
(Liedes-Gast). Auch in den einzelnen dort abgedruckten Versen zeigen
sich Differenzen zum Original der „Isis“.
6 Die
Schreibung „Sonnet“ wie Wildenhayn
und Clodius sie hier noch verwendeten folgt der alten, wie sie bereits
durch Martin Opitz für den deutschen Sprachraum kanonische Geltung
erlangte.
7 Unter
„Licht=Athmen“ verstand man zu
damaliger Zeit das ewig sich wiederholende übergehen des Lebens in
und aus dem Tod. Licht ist der Träger des Lebens, der alles
Lebendigsein hervorbringt; das Athmen symbolisiert den ewigen ZyklusQ
|
|
|
|