Der Gottesbaum.



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Im Anfang pflegte der alte Gott
Ein Körnlein, merk‘ es ohn‘ allen Spott!
Als bald das fühlte den Sonnenschein,
Da begann’s in fröhlicher Kraft gedeihn,
Da schoß es in üppige Wurzeln aus,
Die pflegeten Geister im Erdengraus.
Und aus der umnachteten Wurzel schoß
Zum Licht des Tages ein junger Sproß,
Der wuchs und grünete himmelan,
Stammhoch viel knospige Zweige dran,
Die prangen im Regen und Sonnenstrahl,
Drein rauschen die Winde der Höh zumahl.
Viel tausend Jungen mit heller Stimm
Wie Geister im wehenden Baum vernimm.
Ein Weihrauch quillet aus Blüthen vor,
Der wallt und ziehet in Wolken empor.
O Mensch, dir wird hoch Ding vertraut,
Nun merke, das Körnlein heißet Laut,
Der Baum heißt Sprache, die Wurzel Wort,
Das wuchs zur Sage im Stamme fort.
Die singenden Blätter im Baumeszweig
Sind redende Völker in manchem Reich.
Und duftet die Blüthe zum Himmel hin,
Ist viel Kunst, Weisheit und Liebe drinn.
O Mensch, drum merk‘ es ohn allen Spott,
Der Baum muß loben den alten Gott.

Wildenhayn.








Frauentaschenbuch für das Jahr 1819 / von Baron de la Motte Fouqué. - Nürnberg: Schrag, S. 411f.

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