Nach Jahren
der Krankheit kam Wildenhayn nach Dresden,
„um die geistigste Heilung durch Kunstanschauungen sich zu gönnen“
Q. Und er scheint sehr angetan von dieser Stadt:
„Dresden von Gegenden
umgeben, die nur angeschaut sein wollen, um zum Wiederklange des ewigen Schöpfungsliedes sich zu gestalten in Wort und
Bild; Dresden als Sitz urahnlicher Fürstenhäupter ein Lichtpunkt in den Geschichten vieler Jahrhunderte, deren
Urkundenschaz aufgestapelt liegt in Archiven und Büchereien; [...] Dresden, das in Gemälden und Antiken mehr als
eine Weltschöpfung der Kunst und das historische Abbild der schönsten in seinen Sammlungen besizt, von einem
Friedrich August und Marcolini nur erst vollendet, und als Kommentar zu allem die herrliche Bibliothek; Dresden, wo Medicin,
Botanik und andere Naturwissenschaften seit lange geschüzt und gepflegt wurden; [...] Dresden endlich mit seiner
Künstlerschar!“:
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schwärmt er in einem Artikel über Dresdener „Zeitblätter“ im „Literarischen Merkur“
1820
Q. Hier in Dresden war er unter anderen bekannt mit
Karl August Förster, Professor der Moral, der deutschen Sprache und Literatur am Dresdener Kadettenhaus, der selbst auch
Gedichte verfaßte und Übersetzungen, vor allem italienischer Klassiker (Tasso, Dante, Petrarca) vornahm. Wie sich
beide bekannt wurden kann nicht gesagt werden. Auszuschließen ist, daß Wildenhayn im Kadettenhaus Schüler
war
Q.
Am 26. Oktober 1818 schrieb Förster in sein Tagebuch:
„Wildenhayn war wieder
bei uns; er lebt fortwährend in der bittersten Noth, aber wie soll man Menschen helfen, deren mißverstandenes
Ehrgefühl zu wirklichen Unsinn wird. Ich habe ihn zu Unterrichtsstunden empfohlen, er soll Morgen beginnen, ich nenne
ihm die Bedingungen. „Was,“ - ruft er fast empört aus - „für Geld soll ich
ein Fräulein
unterrichten, soll mich, die Wissenschaft, meine Kenntnisse so erniedrigen? nimmermehr! Der Hunger ist schlimm, jenes
wäre noch schlimmer. Die Stunden, die will ich geben, weil Sie es wollen und um mich nützlich zu machen, aber ohne
Honorar!“ - Ich habe den wunderlichen Kauz zum Abend wieder bestellt, wo er einiges von seinen Arbeiten meinem Urtheil
wiederum vorlegen will. Der Mensch hat wirklich große Befähigungen, viele Kenntnisse und beharrlichen Fleiß,
aber er ist durch und durch verschroben. Er sprach von seinen großen Ideen für die Reformen der Menschheit.
„Reformieren Sie,“ sagte L[uise] freundlich zu ihm, „zunächst sich selbst, ihren äußern
Menschen, tragen sie die übliche Kleidung der Zeit, trennen sie sich von dem auffälligen Bart, der wie sie selbst
gestehen, Ihnen nur lästig und unbequem ist und Anderer Mißfallen erregt; entschließen sie sich, den
wohlerworbenen Sold anzunehmen, „ein guter Arbeiter ist ja des Lohnes werth - !“ Er blieb still; ein schweigender
Schmerz, ein stummer Zorn sprach aus allen Zügen; endlich stand er auf und sagte: „Hier glaubte ich verstanden zu
werden, hier meinte ich, würde man erkennen, daß ich mich dem Gemeinwohl opfere, daß ich ein Märtyrer
bin, o,“ fuhr er fort, „in zwanzig Jahren wird Keiner anders, als in dem schlichten deutschen
Rock[1] Ihnen begegnen und Keiner wird mehr freventlich den naturgemäßen Bart
verkürzen.“ Er ging heftig fort, kam aber am Abend wieder, war aber nicht zu bewegen - wie wohl sonst zuweilen -
an unserm kleinen Abendessen Theil zu nehmen.“2
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Dies ist das einzige so ausführliche Zeugnis eines Dritten, welches Auskunft zu Wildenhayns Erscheinen gibt.
Wie weit ihn sein „mißverstandenes Ehrgefühl“ führen konnte, belegen seine empfindlichen
Reaktionen auf den Umgang anderer mit seinen Schriften:
Erst im September 1819 kommt ihm das „Frauentaschenbuch für das Jahr 1818“ zu Händen. Darin wird ihm
gewahr, das Fouqué sein Dankschreiben mit den darin erbetenen Änderungen übergangen hatte. Daraufhin bat er
Lorenz Oken ihm einige Spalten der von ihm herausgegebenen „Isis“ für ein Rechtfertigungsschreiben zur
Verfügung zu stellen. Im Neujahrsheft der „Isis“ 1820 fand es sich unter dem Titel „Kleinmeistereien
in deutschen Schriftsachen. No.I. Die Erste“ abgedruckt. Darin schilderte Wildenhayn wie es zum Abdruck seiner Gedichte
im „Frauentaschenbuch“ kam, setzte sein Schreiben an Fouqué daneben, als auch einen Brief an einen
„berliner Gelehrten“, den er bat Fouqué wissen zu lassen, daß dieser keine seiner Schriften mehr
veröffentlichen soll. Dies begründet er unter anderem wie folgt:
„Weil mein erster Blick
auf ein paar Machereien fiel [...], die ich nie anerkant [...] und deren nur muthmasliche Mitheilung ich durch einen, an F.
besonders gerichteten Brief, mit allen Formeln herkömlicher Höflichkeit und Beisendung zweier ächteren
Stücke, deren eines in volkthümlich = antiker Form [„Liebes=Gast“] wenigstens neu war, abwenden wolte;
so das ich den Abdruck gerade dieser beiden [„Frauenlob“, „Der Tausch“] als absichtlich betrachten
mus; für welche Niedrigkeit (dieselbe vorausgesetzt) ich dem Hrn. Baron usw. d.l.M.F. mit wahrer Seelenruhe, wenn er vor
mir gestanden hätte, eine deutsch=derbe Ohrfeige würde versetzt haben: nicht als ob dieser Mann auf solche Art mich
beleidigen könte, was ihm unmöglich, sondern weil es frech ist und schlecht, oder doch ein starker Dumdünkel
dazu gehört, mit dem Eigensten, was ein Mensch geben kan, wilkürlich zu schalten, zumal da ich zumeist
persönliche Misdeutungen, die meiner unwürdig sind, damit vermeiden wollte“3.
Q
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„Am 28. 6. 1820 kann Fouqué dem erstaunten Freund Beneke die Mitteilung machen, daß er kurz vor einem
Pistolenduell stehe! Ein Herr Wildenhayn [...] sei in der »berüchtigten Isis« aufs ungezogenste gegen ihn
losgefahren. Am 20. 7. kann er noch weiter gehen : 30 Schritt Distanz sind die Bedingungen, avancieren auf 8 Schritt, Beide
feuern gleichzeitig“
Q. Zu diesem Duell ist es aber nie gekommen. Fouqué rief ein
Ehrengericht an, aus dem sich fünf Stimmen gegen, eine wider das Duell aussprachen. Doch Wildenhayn und Lorenz Oken
sollten zumindest wegen Beleidigung verklagt werden. Wie diese Klage ausfiel ist mir nicht bekannt.
In ähnlicher Weise wie Fouqué, verfuhr auch Ferdinand Philippi mit Wildenhayns Texten. Wahrscheinlich durch
Vermittlung eines Freundes Wildenhayns trat Philippi an ihn heran, mit der Bitte Aufsätze zu liefern für die
Herausgabe seines „Literarischen Merkurs“. Daraufhin übergab Wildenhayn ihm sein „Bild von
diesjähriger Ausstellung“, was Philippi aber als zu lang abwieß. Im Oktober 1819 händigte ihm
Wildenhayn einen „Aufsatz über Dresdner Zeitblätter“ aus. Philippi würdigte das Manuskript keines
Blickes, drängte vielmehr Wildenhayn dazu Artikel über deutsche Dichter zu liefern mit neuen Urteilen und nur
wenigen Worten. Vor allem sollte er über Fouqué urteilen. Philippi zielte also hauptsächlich auf Wildenhayns
Auseinandersetzung mit diesem ab. Dazu wollte sich Wildenhayn nicht hergeben, und
„unvermögend solchen Wechselwirkungen zu sitzen, [... brach er] Einladung, Umgang, Berufungen,
ab“
Q. Der Artikel über „Dresdner
Zeitblätter“ aber blieb bei Philippi zurück. Er erschien „recht feig verstümmelt, unter dem
anmaslichen Namen Musagetes“
Q im Neujahrsheft des
„Literarischen Merkur“, am Montag den 3. Januar 1820. Wie bereits durch Fouqués Umgang mit seinen
Gedichten,
„dem Eigensten, was ein Mensch geben kan“
Q,
fühlte sich Wildenhayn durch den willkührlichen Umgang Philippis mit diesem Text hintergangen. Abermals wandt er
sich mit einem Schreiben an Lorenz Oken. In Heft drei der „Isis“ 1820 fand sich dann unter dem Titel
„Kleinmeistereyen [...] No. II.“, eine von Philippi am 7. Januar unterzeichnete
„
Erklärung “, deren Abdruck allein Wildenhayn schon genügt hätte. Oken
aber ließ auch noch den ungekürzten Text über die „Dresdner Zeitblätter“ mit abdrucken und
gab als Probe zu Wildenhayns Talent das „Sonnet (aus einem gröseren Ganzen)“ und im folgenden Heft das
„Bild zu diesjähriger Dresdner Ausstellung“ hinzu.
Die „Isis“ bot Wildenhayn ein würdiges Forum für seine Texte. Lorenz Oken, eigentlich Okenfuß,
lehrte seit Juli 1807 an der Universität Jena. Er arbeitete hier an seinen naturphilosophischen und naturgeschichtlichen
Werken. Doch fand er daneben noch soviel Zeit, daß er im Juli 1816 die Herausgabe der „Isis“ erstmals
ankündigen konnte, deren erstes Heft im August selben Jahres erschienen ist
Q. „Alle Wissenschaften, mit Ausnahme der Jurisprudenz und Theologie
sollten in der Isis Aufnahme finden [...] Jedem sollte die Zeitschrift offen stehen“
Q. Für Literaten und Verleger wurde ein „Litterarischer
Anzeiger“ beigefügt, und neben den naturwissenschaftlichen Beiträgen fanden, vor allem in den ersten
Jahrgängen, auch Dichter in dem Hauptteil der „Isis“ ihren Platz. Außerdem galt sie als „das
Organ der fortschrittlichen studierenden Jugend, wodurch ihre politische und soziale Tendenz sogleich gekennzeichnet“
Q war. Die enthaltenen politisch-zeitkritischen Texte waren oft mit
solcher Schärfe verfaßt, daß sie in anderen Regionen Deutschlands kaum hätten erscheinen dürfen.
Die Weimarer Staatsverfassung aber versprach Pressefreiheit. Trotz dieses Privilegiums wurde Oken für einen Artikel
über das „Wartburgfest“ der Studenten 1817, dem auch eine Liste der dabei verbrannten Bücher beigegeben
war, zu „6 Wochen Vestungsarrest“
Q verurteilt und das entsprechende Heft konfisziert. Durch ein
Oberappellationsgericht allerdings wurde Oken noch vor Antritt der „Vestungshaft“ freigesprochen. Mit der
Herausgabe der Isis stand er den Regierungen aber weiterhin im Wege. Im Mai 1819 stellte man ihn vor die Wahl, entweder die
Isis oder seine Professur in Jena aufzugeben. Die Isis war ihm wichtiger. Ihr Druck wurde von der Weimarer Regierung trotzdem
verboten. Oken wich daraufhin nach Leipzig aus.
In das Jahr 1819 fiel auch Wildenhayns erste Veröffentlichung in der „Isis“: sein Gedicht
„Glückauf!“. 1820, mit den erwähnten „Kleinmeistereien [...] No. I.“, konnte er die von
Fouqué zurückgewiesenen und als „tolle und gotteslästerliche Machwerke“
Q bezeichneten Gedichte „Liebes=Gast“ und „Sonnet.
1817“ erscheinen lassen. Schon im nächsten Heft der „Isis“ wartete er mit der Übersetzung einer
Passage aus Homers „Ilias“: „Hektors Abschied“ auf. An die Erläuterungen zu dieser
„
in Gang und Klang unsrer altsagischen Volksweisen gehaltene[n] Verdeutschung“
Q fügte er seinen ersten Aufruf zur Subskription seiner Schrift
„Urmas im Einklang: zur Wolbewegsamkeit der deutschen Sprache“ an.
Bereits 1812 soll es eigenen Angaben zufolge „
gedacht und benant“
Q gewesen sein. Nun gedachte er der
baldigen Vollendung dieses Werkes und versuchte mit seinen Übersetzungen klassischer griechischer und lateinischer Texte
die praktische Umsetzung der darin enthaltenen Sprachregelungen vorzuführen. Seinen Subskriptionsaufrufen in der
„Isis“ legte er immer wieder solche bei; „und Wildenhain macht[e] es sich nicht leicht : er wählt[e]
grundsätzlich schwierigste und berüchtigte Exempel“
Q . Dies sind zum einen Passagen aus Homers Odyssee und der Ilias, aber
auch in „Katull’s Atüs“ versuchte er seine prosodischen Regelungen zur Geltung zu bringen. Von diesem
wußte Christian Wilhelm Ahlwardt zu berichten: „Wenn bey irgend einem Gedichte der Römischen Muse die
Nachbildung des Sylbenmasses in unsrer Sprache mit Schwierigkeiten aller Art verknüpft ist, so ist es gewiss der in
Galliamben geschriebene Attis des Catullus“
Q.
Die Nachbildung des Silbenmaßes wollte auch
Wildenhayn erreichen
4. Er ging sogar noch weiter: in der Fußnote zum
„Atüs“ betonte er die Anlehnung an das lateinische Original auch bezüglich der lautlichen Gestaltung
seiner Übertragung
⇒.
Auch in Anschreiben an einflußreiche Gelehrte kündigte Wildenhayn sein Werk an. Eines dieser Schreiben richtete er
an den Heidelberger Professoren und Geheimen Kirchenrat Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, am 29. Oktober 1819. Diesem
Schreiben fügte er eine Übersetzung aus dem Homer an und bat ihn neben der Beförderung seines
„Urmases“ auch um eine in Auftrag gegebene „
Übersetzung irgendeines mgl. Geschichts= oder Naturkundlichen Werks “
Q. Da er sein Leben ganz der Kunst und Wissenschaft zu widmen
gedachte, bedurfte er eines Gelderwerbes, der dieses mit einschloß. Zeiten seines Lebens unter das Joch der Arbeit
spannen - des Geldes wegen? „
Gold ist der Abgot unsrer Zeit; ich bin kein Götzendiener“, schrieb er in seinem Brief an Prinz Friedrich
August
Q. Ob er nun für Geld als Hauslehrer tätig
wurde, wie Karl August Förster ihm vorschlug, bleibt ungewiß.
Försters Tagebucheintrag vom 5. Juli 1818
5 läßt vermuten, so
es sich nicht um ein Manuskript handelte, daß Wildenhayn schon vor den Veröffentlichungen in der
„Isis“ und in Foqués „Frauentaschenbuch“, eigene Schriften publizierte.
Bis zur ersten Hälfte des Jahres 1821 bleibt Wildenhayn zu Dresden. In der Retrospektive gestalteten sich ihm jene
Dresdner Jahre so:
„Der Ankömling wol empfangen, nach Nothdurft gefördert. Der stil Beschäftigte der sich nicht irren lies,
toldreistes Ansinnen einer durch Hudelei anzubildenden schweigsamen Wilfährigkeit langmüthig Verachtete, bald
vernachlässiget bis zur Gefahr einer Auszehrung“
Q.