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Studien
zur Edda - abermals zu Dresden
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Am
13. September des Jahres 1827 finden wir Wildenhayn wieder: er befindet
sich mit Friedrich Christian Kallmeyer in der 2. Etage der
Kleinen plauischen Gasse 533 bei Dresden. Kallmeyer portraitiert ihn.
Wie der mir unbekannte Autor eines Textes in einem Galeriekatalog
angibt, „scheint Kallmeyer doch zu einem Kreis von Verehrern gehört zu haben,
den der ältere Wildenhain vor allem unter jüngeren
Malergenossen fand.“
Diese Aussage wird gestützt durch zwei weitere heute noch
vorhandene Portraits Wildenhayns. Die eine stammt von dem Maler
Friedrich Wassmann, welcher in seiner - posthum von Bernt
Grönvolt herausgegebenen - Autobiographie folgendes
über die Bekanntschaft mit Wildenhayn in Dresden wiedergibt:
„Ich hatte auch einige Freunde besserer Art, die längst für mich
verschollen sind. Unter anderen einen gewissen Wildenheim, der in dem
Dorfe Blasewitz lebte und mit Leib und Seele in dem romantischen
Burschentum aufgegangen war. Von reinen Sitten, fast in allen Sprachen
bewandert, schwärmte er für altnordische Poesie, wie
für die Nibelungen, und wußte, da er auch des
Isländischen mächtig war, von den Wundersagen der
Edda zu erzählen. Bart und Haupthaar hatte er lang wachsen
lassen, trug einen schmutzigen, altdeutschen Rock, wusch sich fast nie
und sah [26] aus wie ein ägyptischer Einsiedler. Tagelang
konnte er vor einer Staffelei sitzen, eine daraufstehende aufgespannte
Leinwand betrachtend, die er mit bunten Farben angestrichen hatte, und
erzählte dem eintretenden, ihn besuchenden Freund, was
Herrliches daraus entstehen sollte. Um ihn her lag ein Wust von
Schriften, Papieren und Büchern. Das war seine
künstlerische Tätigkeit. Solange er seine Freunde
flott traktierte, war er der Hochgefeierte, als er aber nicht mehr
hatte als Schulden, verließen ihn alle. Ich beherbergte ihn
tagelang bei mir, wenn er in die Stadt kam, und freute mich an seiner
gelehrten, geistreichen Unterhaltung. Er schrieb mir einst aus Dank
unter eine Porträtzeichnung, die ich von ihm machte, ein paar
Verse in Tieckschem Stil. Der Arme soll später, als wahnsinnig
erklärt, in Sonnenstein sein Ende gefunden haben.“Q
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Dieses
wenig ausgearbeitete Portrait zeichnete Wassmann am 18. Mai 1828 und
das bereits zwei Tage später und feiner ausgearbeiteten
Portrait Carl Gotthelf Küchlers, welches Wildenhayn in selbiger
Positur wiedergibt, lässt vermuten, dass beide Maler gleichzeitig
Wildenhayn besucht haben müssen. Nicht nur aus Wassmanns
Autobiographie, auch aus Wildenhayns Briefen ist zu entnehmen, dass er
selbst der Malerei sehr zugetan war; oft mangelten aber selbst
für die dazu notwendigen Materialien die finanziellen Mittel.
Am 24. November des Jahres 1830 trifft im Sächsischen
Königshaus ein Schreiben Karl Friedrich Wildenhayns ein. Darin
„wagt [er] ein Gesuch,
das Rechtfertigung und Genehmigung allein von der hohen Wichtigkeit des
Betreffenden, für das gesamte deutsche Volk, erwarten
kan“. Weiter fährt er fort:
„Ich
fand in der altnordischen Edda, durch Umschrift in das
älteste Dichtmas der Indier, Denkmale vom höchstem
classischem Werthe; eine Bildung, dem indischem, griechischem,
römischem Alterthum auf’s innigste verwandt; tiefste
Klarheit; hohen sittlichen Ernst; noch reinen, nicht abgöttischen,
sondern naturgetreuen, unentheiligten Mythus; wichtigste Urkunden deutscher
Geschichte, der Herkunft aus Indien pp.: alles in einer höchst
lauteren Sprache, die kaum anders als uraltsächsisch zu nennen
ist. [...] Da ich aber, nach vielen unmenschlich geschmälerten
Jahren, nichts mehr dafür aufbieten kan als neun Jahre des
Fleises, die eigenen Werken bestimmt waren: So legt’ ich
meine Entdeckung sr. königl. Hoheit dem Prinzen Mitregenten
näher dar, wagte, das nicht unbeträchtliche bare Bedürfnis
dafür Ihrer Königl. Hoheit, Prinzessin Augusta, zu
vertrauen, und: die Genehmigung Ew. Königlichen Majestät, zu
Förderung eines so schönen, nur Einmal für
Deutschland möglichen Unternehmens, zu erlangen.“
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Dieses Schreiben enthielt die zweiteilige Probe von seinen Umschriften der
Völuspa („Proben aus Völuspa“, „Probe vom
dritten Sloka der Völuspa nach römischer Lesart“).
Um seinen Bedarf an Geld konkret darzustellen, legte
Wildenhayn diesem Schreiben auch einen Kostenanschlag bei. Mit ihm
beantragte er eine Gesamtsumme von 6600 Talern für drei Jahre
Arbeit. Für seinen Lebensunterhalt benötigte er
gerademal 300 Taler jährlich. Den Großteil des Geldes gedachte er
für die Literaturbeschaffung (3000 Taler) und die Tilgung seiner Schulden
aus fünfzehnjährigem „Kampfe“
(2500 Taler) zu verwenden.
Vorab Erkundigungen einziehend über Wildenhayn und den Wert seiner
Arbeit, sandte der Kabinettsminister Bernhard August von Lindenau am 1.
Dezember gleichen Jahres ein Schreiben an den Dresdner Oberbibliothekar
Horatz Ebert, dem er die Proben zur Völuspa mit beilegte Q.
Dieser konnte ihm drei Wochen später mitteilen,
„daß der Bruder des privatisierenden Wildenhain der
Cand. theol. August Wilhelm Wildenhain ist, der auf d. Johannisgasse num. 52 2te
Etage wohnt, und auf der Bibliothek, wohin ihn vor etlichen Jahren der
Herr Major und Wirtschafts-Graf Kühnel empfohlen, als ein sehr
achtbarer und zuverlässiger junger Mann bekannt ist. Auch
hör ich, daß er sich, soviel in seinen eignen
beschränkten Kräften steht, bisher seines Bruders auf das
Thätigste und liebevollste angenommen hat, und die Extravaganzen desselben in keiner
Weise theilt“Q.
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Wie er Wildenhayns Übersetzungsleistungen bedachte ging aus diesem
Schreiben nicht hervor. Inzwischen bat Lindenau auch Wildenhayn selbst
um eine nähere Erläuterung seines Anliegens an Friedrich
August. Daraufhin sandte Wildenhayn den „Brief - Frühling 1830“
und die „Erinnerungen an eine deutsche Geschichtsschreibung“ zur Antwort.
Diese sind bereits einige Monate vorher verfaßt worden. Auch
das erste Gesuch datierte ursprünglich vom Februar 1830, und die
Verspätung bis in den Herbst hinein wurde mit
„Krankheit“ entschuldigt, resultierte
möglicherweise aber aus den seit Mitte des
Jahres 1830 auch in Sachsen aufwogenden revolutionären
Bewegungen, deren Beruhigen Wildenhayn erst abwarten wollte. Die Unruhen, die sich
über ganz Sachsen ausbreiteten, hatten zur Folge, daß am 13.
September „der allseits beliebte Prinz Friedrich August [...]
zum Mitregenten bestimmt wurde“ Q.
Gleichzeitig damit trat der liberal gesinnte Geheime Rat von Lindenau die Stelle des
Kabinettministers an Q.
Die durch die Revolten bewirkte Umgestaltung der sächsischen Regierung,
wurde Wildenhayn zum Vorteil. Seinem Gesuch wurde stattgegeben. Er erhiehlt
6600 Taler aus der Kasse des sächsischen Staates.
Am 25. Juni 1831 richtete Wildenhayn ein weiteres Schreiben an den Prinzen
Friedrich August. Darin deutete er an, daß er noch „keine
Aussicht auf Hauptarbeiten“ habe und gewillt ist „zu wandern, unterwegs
vielleicht einen künstlerischen Erwerb einzuleiten und näher
dem Norden, von Hamburg aus, vertragsweise durch einflusreiche Gönner“
Q,
doch Friedrich August persönlich gewährte ihm die Summe von 300 Talern. Der
Staatsetat lag seit den umfassenden Änderungen 1830/1831 nicht
mehr im Refugium des Königshauses: es erhielt einen festen Etat
aus dem Staatshaushalt zugewiesen.
Für
„das gnädigst Ertheilte, als aus Höchst Eigenen Mitteln
gereicht[e ...]“ bedankte sich Wildenhayn mit einem Schreiben vom 18.
August 1831. Darin teilte er mit, daß er mit dem
Gelde zwar keine Reise veranstaltete, diese verschob „ein
Eräugnis zu dessen selbst unendlicher Mittheilung“ Wildenhayn die
Worte fehlten, mit dem Gelde aber eine Kiste voll Papieren retten konnte
„mit Samlungen und Auszügen [...] und einer Menge
Urkunden“ Q
seines eigenen Lebens. Dem darin Enthaltenen ist ein Wandel in den
äußeren Lebensumständen als auch im Wesen
Wildenhayns selbst abzulesen:
Noch im Oktober 1829, konnte er seine Position
innerhalb der Gesellschaft nur ironisierend Beschreiben:
„Über mein Leben kan ich Aufschlus geben; beschämenden. Was
haben meine Väter verbrochen, das mir nicht die Begnügung des
Thieres gegönnt war, geschweige ein Pläzchen zum Denken,
Dichten und Malen? Freilich ein Geschlecht welches nur Trozköpfe
bildet, die im Gegensaz mit aller Vernunft welche Perücken trug,
sich den Bart wachsen lassen, [...] die aus der nach Umständen
recht schiklichen Begeisterung einen lächerlichen Ernst machen
auch in gesezten Jahren noch, und wol gar mit unverzeihlicher Narheit,
unbarmherzig entsagend, reine Sitlichkeit, wahre Uneigennützigkeit
vol Hoffarth schautragen, fähig das neueste Geheimnis der
Überlegenheit an gemeines Volk hinzuwerfen, was doch
ausschliesliches Erbteil bevorzugter Stände bleiben sol - ein
solches Geschlecht mus man gründlich ausrotten, mit der Wurzel;
darf Kinder nicht haben noch selbst erziehen, und lässt sich
Armuth als Vorwand anwenden, ei wie paslich, wie leicht und
wolfeil!“Q
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Und auch für sein weiteres Leben hatte Wildenhayn damals keine Hoffnung
auf ein Mitleben in der Gesellschaft:
„Meine Augenblicke werden gezählt
sein; geselligem Mitgenus und häuslichem Glük, sofern ein
solches mir unter diesen Zeitgenossen noch moralisch erlaubt sein
würde, entsag ich auch diesmal und nur Malerei, als einzige
Erholung, möchte dabei soweit gedeihen das ich demnächst
nicht erwerblos dastünde.“ Q
Nun aber, im August 1831, obwohl er seine harten Äußerungen die
er vormals gegen seine Mitmenschen erhob noch immer bestätigt
sah, konnte er verkünden:
„Doch hab ich, ob unbeehrt, alte Kränkungen
abgethan und selbst das Liebesmahl einer christlichen Gemeinde theil
ich nun unverhöhnt, ein Versöhnter. —“ Q
Wie Wildenhayns Leben sich nach diesen Ereignissen gestaltete, welche Begebenheiten ihn
in die nun folgende und für ihn letzte Lebensstation führten, kann nicht
gesagt werden. Fest steht, dass er nur 14 Monate später, am 11. Oktober 1832, als „Verpflegter“
Q
die Mauern der Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein bezieht. Über diese 1811 von Gottlob Adolf Ernst von
Nostitz und Jänckendorff nach „modernen psychiatr. Erkenntnissen“
Q
begründete Anstalt, gibt ein Lexikoneintrag damaliger Zeit folgende Auskunft:
„Sonnenstein
, Schloß auf einem bei der Stadt Pirna liegenden Felsen mit einer berühmten Irrenanstalt,
hauptsächlich für heilbare Irren und für Personen aus den gebildeten Ständen bestimmt,
die sich zur Aufnahme in eine Versorgungsanstalt eignen. Die Kranken werden in 3 Classen getheilt, und ihre
Zahl beträgt gewöhnlich über 200. Die Einrichtung des Hauses und die physischen und psychischen Behandlungen
der Kranken sind musterhaft. Männliche und weibliche Kranke sind völlig geschieden, und für die letztern ist
ein von den übrigen Gebäuden abgesondertes Haus bestimmt. Gewöhnlich wohnen 2-4 Kranke beisammen; selten
wohnt einer allein, Wüthende ausgenommen. Die Wohnungen sind hell und reinlich, und werden jeden Abend von
den Aufsehern untersucht. Die Pfleglinge der ersten Classe haben zutritt in das Musik= und Lehrzimmer, wo
eine vorsichtig gewählte Büchersammlung und musikalische Instrumente sich befinden. Billard, Kegelspiel,
Lustwandeln in den Gärten auf der Felsenfläche, die eine herrliche Aussicht haben, gewähren Unterhaltung
und Zerstreuung. Auch Übungen im Exerciren mit hölzernen Gewehren hat man heilsam gefunden. Wöchentlich
einmal werden von mehreren Pfleglingen Concerte aufgeführt. Alle zur Heilung dienlichen Mittel, z. B.
eine vorzügliche Badeanstalt, mit einem Tropf= und Sturzbade, ein galvanischer und elektrischer Apparat,
Schwungbett, Drehstuhl und Schwungrad zur unschädlichen Beruhigung Tobender und zur Erregung hartnäckig
schweigsamer Kranken, sind vorhanden und werden fortdauernd vervollkommnet.“
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Wegen ihrer zu damaliger Zeit hervorragenden Heilerfolge und einer geringen Mortalitätsrate, wurde die
Heilanstalt Sonnenstein in den Fachpublikationen jener Tage oft besprochen. Die Einteilung der
Patienten in eine der drei Klassen richtete sich nach der Höhe der gezahlten Vergütung. Wer in welcher Höhe
für den Unterhalt Karl Friedrich Wildenhayns aufkam, geht aus den bislang vorliegenden Dokumenten nicht
hervor. — Am dritten Juli 1836, vormittags um zehn Uhr, im 45. Lebensjahr, verstarb er auf dem Sonnenstein;
wie aus dem Sterberegister weiter hervorgeht: an Entkräftung. Zwei Tage darauf, am 5. Juli, wurde er
„öffentlich auf hiesigem Gottesacker“ beigesetzt.
Nachtrag:
Sein Bruder Wilhelm Christian August Wildenhayn verehelichte sich als Pastor am 19. Oktober des Jahres 1842 mit
Laura Exner in Zittau Q.
Noch im Besitze der Familie Wildenhayn befinden sich zwei Ölgemälde aus seiner Hand: Schloss Weesenstein bei
Dohna
darstellend, sowie eine Ansicht von Limbach , wo er als Pfarrer tätig war. Ein wahrscheinlich
dem befreundeten Pfarrer der Gemeinde Lobstädt Carl Friedrich Vogel zum Geschenk gemachtes kleines Ölgemälde stellt
eine Ansicht der Kirche dieser Gemeinde dar und befindet sich noch im Besitz von dessen Nachfahren.
Zu seinem jüngsten Bruder Gustav Eduard Wildenhayn findet sich
im „Leipziger Kreisblatt“ vom 5. April 1853 (17. Jg. S. 165f.) folgende
„Bekanntmachung.
Es ist die Vermuthung entstanden, daß der unten signalisierte Kaufmann
Gustav Eduard Wildenhayn allhier, nachdem sich derselbe am 20. dieses
Mts. Vormittags aus seiner Wohnung in der Antonstadt entfernt und
seitdem keine Nachricht von sich gegeben hat, in einem Anfalle von
Schwermuth den Tod in der Elbe gefunden hat. Wir bringen Solches mit
der Aufforderung an alle Diejenigen, welche über den Verblieb
Wildenhayn’s Auskunft geben können, uns oder der nächsten Behörde
schleunigst Anzeige zu machen, zur öffentlichen Kenntniß.
Dresden, am 30. März 1853.
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Die Stadtpolizei=Deputation daselbst.
von
Oppell.
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Lehmann,
Act.
Signalement Wildenhayn’s.
Alter:
40 Jahre; Größe: 67-69 Zoll; Haare: dunkelbraun
(Platte); Stirn: hoch; Augenbrauen: braun; Nase: etwas lang; Mund:
gewöhnlich; Bart: rasirt; Zähne: mangelhaft; Gestalt:
mittel. Kleidung: langer [166] abgetragener, schwarzer Tuchrock, schwarze
Tuchhosen, dergl. Halsbinde, schwarzer Filzhut mit breiter Krempe,
Hemd, G. W.
roth gezeichnet, Halbstiefeln.“
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