Eine Probe aus dem Urmase.
(Eingang nach der Einleitung.)

Urheit.




    In uns die Welt, nicht auser uns: das innre Urbild findet an den Erscheinungen umher die Spiegel. Dies ewig Erste woran ich glauben mus, um den unendlichen Gegensaz doch auch als Einheit zu begreifen, läst alles Ausending nur wie Benennung seines Inneren, die Welt als Namen des Ich gedenken, womit die Wahrheit eines, dem Unschaubaren gegenübergestellten Schaubaren so wenig abgeläugnet ist als ich die Worte läugne beim Redenwollen von der Sache. Ist ja die Gegensetzung in Gegenschau der erste Fustritt aus dem Himmel des Ur=Einen und, als Bewustsein verstanden, des irdischen, singeistigen Lebens Anhub. Erkenn‘ ich also, wie die Sache, das Wort an und frage: wie benenn‘ ich jenes Ungenannte das den Namen ausschliest, wen mit den Gegensätzen auch ihr Bewustsein verschwindet? Es wäre Kraft zu nennen; auch Sein ist Name dafür, und welcher allgemeinste rief es nicht? Ich nenn‘ es Ur.

    Im Himmel und auf Erden, was war, was ist, was sein wird, das ist im Ur algegenwärtig beschlossen. Das Unzählige geht auf, das endlos Ferne vereint sich, wo alle Kraft der Weltbewegung in Ruhe steht. Den die Grundstoffe gehen unter in diese Wucht: der Schein ihrer Gestaltung erlischt im Brenherde diesen Lichtes in Nacht: der Keim regsamer Wechselwirkungen erstarrt im Froste. Ja, der lebendige Same der Leiber ist hier Verwesung; die Empfindnis entfalteter Sinblüthe verschlossen in Dumpfheit: das Fortleben der Geschlechter in zeugender Gattung, Tod. So verschwindet die Schöpfung; wie mit Anschauung und Inbilde das Gedächtnis, so mit Verstand und Sele das Dasein ins Nichts hin. Doch nimmer wird das Ich zunichte, hier, wo kein Ende das nicht Anfang wäre; nur an des Nichts Verschwindung in aller Gegensätze Gegensaz schaut es, im Ur da, Sich selbst, eben aus demjenigen der Erscheinung zum Al an: den, wo kein Ende das nicht Anfang wäre, hier, richtet das Ich sich auf für immerdar. Vom Al aus wird, wie aus Seyn in Geist und Vernunft, so aus Gedanke in Ausbild und Wort, die Schöpfung neu entwickelt. Und doch, wen des Geistes aus Bewustsein in Erkenntnis wahrster Gedanke mit dem in Nothwendigkeit und Freyheit schönstem Willen sich vermählte, um die an Zwek sowol als Mittel beste That eines Werkes zu erzeugen, das aller Stoffe und Leiber Werdnis in Weisheit, den Has wie die Liebe der Weltgeschichte [62] in Kunst, der Hölle Fluch, der Himmelreiche Seligkeit in Andacht aussprechend, gleichals ein vom eignen Got beseltes Weltal, die Unendlichkeit der Räume in der Zeiten Ewigkeit aufgehen liese; - nur eine Blume wär’s an des Gewandes Saum, das aus Verhüllungen allein des nakten Ur Gestalt errathen läst, das war, das ist, das sein wird: hinter dem Sternenmantel der Gotheit! —

  So sas auf jenem Meeres=Eiland‘ Almutter Hertha, tief in des keuschen Hains uralter Nacht; von Menschen ungesehn. Ihr Geweihter allein empfand die Nahende im Heiligthum und durfte den Wagen voll Andacht geleiten, darauf sie, in Teppiche ganz verhüllt, von Kühen gezogen, die Völker heimsuchte. Da brach das Eis, der offene Quellenschos empfing die Bläue; beselt von Inwärme giengen der Erde die tausend Blumenaugen auf, einander anzuschau’n in Frühlinges Wollust. Nun brütete die Nachtigal im grünen Hag, waren himmelheiter die Tage, begrüßten Tänze die Kommende im Freyen. Die Wonne der Liebe nur barg sich im Hain, doch Blumenfeste verschönten die Hütten wo sie der Einkehr gewürdigt. Kein Krieg began, verschlossen lag das Schwert; nur Fried‘ und Ruhe dan allein gekant, allein geliebt, bis, wan die Blüthe schwand, ihr Ewart die begnügte des Verkehrs mit Sterblichen dem Heiligthume zurückgab. Und hier erst sanken ihr die Hüllen, den im geheimen See ward Göttin, Wagen und Gewand gebadet, Die aber ihr gedient und die Enthüllte geschaut hatten wie sie hinabglit in die Wogen: die wurden alsobald vom selben See verschlündet. Daher geheimes Grausen und heilige Unwissenheit, was das sei, das nur dem Tod Geweihte schauen. Und wahrlich, uns auch schaudert am Bilde jenes Unbegreiflichen, wen je die ausgestrekten Arme sänken womit es uns der eignen Anschau gegenüber hält. Wolan, so glauben wir, das milde Gotheit uns in Armen habe, die nicht das holde Gespiel das wir Leben nennen je rauben, nur inniger uns ihm vergatten wil, und immer aus der Liebeseinigung ein Zeugnis ihrer Wahrheit neu verklären. So wurden wir geboren. — . . . . .
 Es folgen die Überschriften:

(0.)
Kraft als Gröse.

(1.)                             (2.)
Zeit als Zahl.                   Raum als Mas.

(3.)
Bewegung als Zeitmas . . . . . usw.

   
So geschrieben, Dresden im Winter 1820.

Karl Wildenhain.




Isis: oder encyclopädische Zeitung / hrsg. von Lorenz Oken. - Leipzig : Brockhaus, 1824. - Sp. 61f.


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