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AN DEN HERAUSGEBER.[1]

    Ihrer ehrenden Einladung mit Sendung des Ausonischen wilfahrend, an dessen Abdruck durch weiland unsern Gebr. ich bisher so wenig glauben mochte, als früher an desselben Ablieferung gewisser Liedlein in den Fouque’schen Almanaque, bin ich erfreu’t, Ihrer heiligen Afra zugleich meinen Dank darzubringen, welche auch uns, unter dem trefflichen Zschucke’schem Rectorate, vertrautere Bekantschaft mit jenen Alten vergönnte, die, frei durch eigenthümlichste Bildung, und viel zu gros, ihr Werk aus fremden Geiste zu beselen, als wahre Sterne des Trostes in einer Zeit vorlauchteten, wo jedes heiligstes Besizthum des Vaterlandes der käuflichen Feigheit und geistiger Mäkelei solcher Geheimrotten preisgegeben schien, die dadurch Glaube, Kunst und Stat verriethen, das sie ausländerisch vermeinten, die geläuterte Form dafür allein zu vermögen! — einen Dank, wie ich ihn anderweit gebührender [58] möge gegeben haben. Den freilich unbedeutend ist Umfang wie Gehalt dieser Nachbleibsel einer häuslichen Gemüthsergötzung, die den christlichen Dichter auf gut heidnisch erlaben mochte. Allein der um jene Zeit (vor nun eilf Jahren) auf ein Gesamterfassen deutschen Dichtstoffes gewendete Sinn ergriff auch das Entlegnere, zumal aus dem heldischen Volksalter, mit Vorliebe. Gräter’s Übersetzung im Braga führte zur Urschrift der Ausonischen Bissula, und, wie es eben aus allem Volksthümlichstem und Altschönem (Classischem) zugleich das eigene Dichtmas zu begnügen galt, so entstand jene Verdeutschung, von der mir unbekannt, ob sie einmal im Freimüthigen (1813) mit abgedrukt worden; das aber besonders masgetreu sein wolte.

    Den ohne hie darauf einzugehn, was mit ängstlichen Nachbildungen aus einer abgeblühten, dem geschichtlichen Forscher allein recht lebendigen Dichtwelt uns den gewonnen sei; oder wie gros wol der Abstand unsrer, erst anklingenden (alliterirenden), dan ein Jahrtausend lang reimenden, in Kürzung tonlosen, ja, in Stürmen der Völkerwanderung an den Asten zersplitterten Sprache, von jenen alten, wo Laut um Laut ein Mas nicht weniger fordert, als von ihm gehalten wird; — ohne zu [59] fragen, wieferne das, in Begeisterung eigenthümlich gelungenste Ausgepräg dieser durchgestalteten, für Nachahmung erreichbar überhaupt — : erlaub’ ich mir nur zu erinnern, daß allerdings das tiefste Verständnis altbildnerischer Dichtung mit im Maslichen zu liegen scheint.

    Al unsrer Inbildschau nämlich, so fern sie nach angeborner Lautbarkeit im Worte den ersten Thatausdruck findet, quillt in gemesnen Sätzen ein leises, dem Tondichter lautes Tongefäl (Melodie) vor, das, sprachlich aufgehascht, unbewust oft ins Wort hinübertrit, um des empfundenen Wesenbildes geistigen Gebärdwink zu gestalten. Darum, in Stimmungen, wo der Gedanke nur von der Empfindung das Wort leiht, wird auch das ächte Lied gleich aus Gesang geboren und schwebt in Tönen hin. Dies ist wesentlich, die Gründe alles Wahrnehmbaren von innen aus wie von ausen ein beziehen sich zurück auf solche Tonfristen, die wiederum nur das Feinere, Geschwindere, und also Zeitverwandtere sind von sicheren Masfristen, die, als Gestaltung vernommen, mehr die Raumschau vermitteln. Ich will sagen, beide, Wolmas und Wollaut seien selbeins  (identisch) im Gedichte, der Bedeutung nach, obwol an [60] Erscheinung verschieden. Der einzelne Ton wird nie gezählt, nur geschätzt; hingegen den mesbaren Abständen im Dichtmase (metrum) legt sich ein Raumbild unter, gleichwie wir umgekehrt an beharlichen Raumanschauungen zunächst und am ruhigsten Gestaltverhältnisse abzählen, wenn die Gestalt selbst auch nur aus Bewegung verstanden wird im Zeitmas, dessen Abschlus eben, da auch der Ton nur als Bewegung ist, was er ist, in den Ursprung zurükweicht. In Bewegung also sind beide, wie die Bedingung untrennbar, Raum nur in Zeit, weil Zeit nur an Raum anzuschaun, wiewol an Zeit als Geistigeres gedacht wird überal, wo Messung nach abgezählten Fristen dem Sinne verschwindet, wie bei den Schwingungen des Einzeltones allerding[s] geschieht. Sogar ein Tongedanke, als Umfang in sich begnügter Töne, klingt einfach in Erinnerung nach, als eine Gesamtheit ihres Wechselverhaltes. An Raum hingegen, das Stoflichere, denken wir, sobald ein Dichtmas von bildbezeichnenden Lauten die vorgezählten Abschnitte in werdender Anschau mit Bildgedanken ausfüllt. Auch diese aber, verhallt und abgeklungen im Ohre, beharrt als Einheit, als Bewegbild allein, oder lieber als Wink (Moment) einer einigen, nur so, nicht anders [61] ausgestalteten Kraft im Gedächtnis. Den unser Geist, an Zeit und Raum ungebunden, vernichtet beide und ihr bewegtes Erscheinen, in Kraft, weil die, zwar erscheinungfähig nur ist auf diese Bedingungen, selbselbst jedoch dem Geist allein offenbar. So wäre die Masheit nur Ausgliederung des einfachen Gedankentones und Lautung, umgekehrt, eine in sich gespiegelte, doch über die Grenze des Mesbaren hinaus, zu anderer Geltung (aus Quantität in Qualität) vergeistigte Masgliederung. Oder sagen wir schlechthin, das Lautmas werde Sele der äuseren Form im Gedichte, das Dichtmas Leib; ihr entsprechender nämlich, da Kunst im Gegensatz mit Wirklichem, die Schaubedeutung (Physiognomie) durchaus anerkennt. Bedarf nun die schaffende Klangesele des tragenden Leibes allemal um dazusein, und sind nun im Masfolge Laute vernehmbar, so finden wir die Bedingungen vollendeter Dichtrede zumeist im Maslichen gegeben. Das mithin jenes „so und nicht anders“ der Ausgestaltung, — sein Ausgehn vom einfachen Tongedankenklang in uns nur zugestanden — auch in des Einzelmenschen tiefste Eigenthümlichkeit hinabgreifen müsse, wil niemand läugnen. Daher in ächter Dichtung die häufigen Stellen, wo alle Masglieder soviel herbeigeherschte Hebelkräfte werden, die nur in [62] solchem Ineinanderwirken den so empfundenen Gedanken laut heraufheben konnten; ein unnachahmliches, unbewustes Gelingen aus einer Bewustheit, worin die Berechnung verschwindet. Daher das Unabänderliche des Ausdrucks in Werken, die von den Urhebern kaum je im ersten Sinne nachzubessern waren. Daher das unbegreifliche Gepräg von Eigenthümlichkeit, woran wir oft aus wenig Worten den Man errathen, der sich aussprach, oder uns selbst in früheren Stimmungen, worin wir schrieben; und könnten unsre Gedanken vorweggelauscht werden, wir würden sie erkennen in aller Art ihres Strebens nach Ausenform, an der Haltung in Klang und Gang, an Masgliederung des Ganzen wie der einzelnen Worte, am Bildnerischen wie am Tonischen der Darstellung, und endlich aus der Hindeutung auf den Gedankenkern, die alle das, wen auch verfehlt nur, im runden Abschlus zurükläst; gleichwie ein Traum uns unser Schattenbild entgegenhält.

Genug davon; ich muste Dunkel sein in Dingen, die ich ohnedies weiter auszuführen versprach, und beinah zu wichtig war des Gesagten Meinung für folgende Kleinigkeiten. Ich wiederhole, das mein gefundenes Wort-[63]mas kein erfundenes sein, blos freundlich einladen wil zu Benutzung einfacher Mittel, die unsre Sprache bereichernd anbietet und Jeder nach Einsicht handhaben mag. So möge von der doppelten Bearbeitung die frühere, unterdrukte den bisherigen Anforderungen genügen; die neue wird reiner im Ganzen erscheinen, Stellenweise befriedigen, Vergleichungsweise das möglich Bessere ahnden lassen.

                                                                                       J. im Neujahr 1822.
Karl Wildenhayn.
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[VII]
1) Friedrich Lindemann gibt im Vorwort zu diesem Sammelband einige wichtige Erläuterungen:

Vorwort
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Nur wenige Vorbemerkungen seien mir Vergönnt. Mein Aufruf in der Vorrede des ersten Bändchens dieser Versuche ist nicht fruchtlos geblieben. Es haben sich einige meiner Freunde an mich angeschlossen, um die Übersetzungskunst mit mir gemeinschaftlich zu erweitern, und haben mir einige treffliche Beiträge geliefert. Dafür gebührt jenen Würdigen mein herzlichster Dank, der ihnen hiermit öffentlich dargebracht sein soll. Die gedankenreiche Zuschrift Karl [VIII] Wildenhains an den Herausgeber ward durch eine Bitte veranlaßt, welche der Herausgeber an jenen ergehen ließ, seine Übertragung von Auson’s Bissula betreffend. Diese Übersetzung war zuerst im Freimü[t]higen, wahrscheinlich im Jahre 1813, erschienen. Einer unserer Bekannten, ein gewisser Gebauer, ließ sich beigehen, diese treffliche Verdeutschung in Kölln bei Rommerskirchen mit lateinischem Text zur Seite unter seinem Namen wieder Abdrucken zu lassen. Bald darauf erschien in der Jenischen Literaturzeitung eine Rüge jenes Plagiats von einem Freunde Wildenhains, der, obgleich ein geachteter Krieger, doch den sanfteren Musen nicht lebewohl gesagt. Das Plagiat ward dadurch zur größeren Unverschämtheit, daß sich der Plagiarius auf dem Titel einen ehemaligen Collaborator der Meißner Für-[IX]stenschule genannt hatte, was er nie gewesen ist. Er hat nur die Ehre, ein Zögling jener berühmten Anstalt zu sein, die freilich an solchen Zöglingen keine Ehre und Freude erlebt. Eben dies war in der Ienischen angedeutet. Mein Wunsch war nun, von Herrn K. Wildenhain eine Durchsicht jener Übersetzung für mein zweites Bändchen der Lyra zu erhalten, und als Antwort auf meine schriftliche Bitte erhielt ich jene Zuschrift, welche ich hier habe abdrucken lassen. Die darin aufgestellten Ansichten, die befolgte, und vielleicht durch meine Schuld nicht ganz streng durchgeführte, Rechtschreibung mögen sich selbst vertheidigen.
[…]





Die Lyra: Eine Sammlung von Übersetzungen aus dem klassischen Alterthume nebst Beiträgen zur Vervollkommnung der Übersetzungskunst; Zweites Bändchen / hrsg. von Friedrich Lindemann. - Meissen: Goedsche, 1824. - S. VII-IX, 57-63




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