Jena d. 17ten Febr. 1823.   

Hochwolgeborener,
Hochverehrter Her Major,



Das mir so gütig überschikte mus ich von Ihnen und Ihren Freunden, auf Bedingung der Wiedergabe versteht sich, wol annehmen. — Indem ich nun zu herzlichstem Danke mich gedrungen fühle, vergönne Ihre gewohnte Langmuth die Erörterung einiger Vorwürfe, die ich so viel hören mus als wenig sie mich treffen.
Überzeugt, alles gesunde Werk, zumal in Künsten, sei nur ein Kind vergnügten Daseins, hab'ich nie versäumt für selbthätige Lebenssicherung mich vorzubereiten. Wiewol ich nun unwiederrufliche Zeugnisse habe, das meine ganze Jugend gleichsam verkauft gewesen und bei unablässig arbeitenden Kräften schamlos beraubt wurde: so fühlt'ich mich doch im̅er reich genug zu eigenthümlicher Leistung und gedachte schon 1813 eine akadem. Laufbahn einzuleiten, was kriegerische Störungen und Pflichten zu glücklich unterbrachen. — Dan wurde nahe gelegt, wie Anschliesung an gewisse, wenigstens geschuldete Gesamtheiten, deren Herschaft so oft die mächtigere im Rate scheint, am sichersten zu Mitgeltung verhelfe, worauf ich nie eingieng und wahrscheinlich deshalb, troz allen Erwerbsmitteln, den drückendsten Mangel schon damals erdulden muste. Mit festem Vorsaz, mein Treuerstrebtes zur reinsten Form hindurch zu läutern, nahm ich einsweilen eine Grundlehrer=Stelle in Hinterzimmern an und wurde von Menschen, deren Stand und Vermögen auf schönste Bildung Anspruch gab, aufs niederträchtigste gehandhabt. Zu meiner innigen Küm̅ernis zu arm, an dem erneutem Kampfe Theil zu nehmen, aber entschlossen, auf Mathematik, die erste Wissenschaft die einst den Knaben ansprach, mich gänzlich werfend, sehr günstige Aussichten beim Wehrstande zu folgen, ward meine blühende Gesundheit, wie erst durch magnetische Mäkeleien, nun auch durch Vergiftungx glücklich zerrüttet. Ich ersuchte Rettung, erlag aber einem willenlosen, nach sicheren Anzeigen nicht unbewustem Hinstarren in Ermattung, und wahrscheinlich solte noch Hunger mich tödten, als jählings ein Frost mich erweckte, am siebentem Tage. Meine Hände erhalt ich selbst; an den Füssen wolte man, auf mein inständiges Flehen das rettende Schneemittel nicht anwenden, und äuserte dan: mit dem Soldaten sei es nun aus. — Man schien sich höchstbedeutend für mich zu verwenden: ich kam nach Berlin zu einem ärztlichem Freunde und lebte noch 3. Jahr im väterlichen Hause, mit gescheiterten Plänen, verlornen Lernungen, unfähig zu strenger Arbeit, bei Coäven des Mittelalters, spielendem Zeichnen und, in lieber Gegend, am Son̅enscheine nur langsam aufgenesend. Kein sichtbarer Vorwurf trifft mich in jenem unseligem Hause.
[Blatt 2]Die letztere Zeit war wieder schöpferisch: in voller Arbeit für Werke, zog mich die Bibliothek, schon daheim benuzt, nebst dem Wunsche, durch reine Kunstanklänge mich harmonischer zu heilen, nach Dresden. Dort hätten mir erste Häuser offen gestanden, allein der in̅ere Beruf versagte gesellige Genüsse, sogar der Kunst anfangs, und mit ein par Stunden an Engländern[?] war mein ärmliches Bedürfnis begnügt, bis unerwartet, mit dem Sandischen Eräugnisse, blos leere Vertröstungen auf solcherlei Verdienst, der nie dort fehlen kan, sich einstellten. Es würde betrübend sein, das namenlose Elend, die Zersplitterung ernster Studienreihen, die neue Zerrüttung meiner noch sehr reizbaren Gesundheit und den Kunstmord zu schildern, den diese, wie es schien im Einverständnis mit meinem frühern Peinigern verübte Unterdrückung zur Folge hatte. — Erst in jener Zeit legt'ich den deutschen Rocke an, die Schwachheit nicht weiter schonend und gelangte endlich hieher, in keiner andern Absicht, als, mich erholend, nothdürftigen Erwerb zu finden und einige Muse zu anatomischen udgl. Malerstudien; oder alsbald einen andern Ort, der solches gewährte.
Ich hatte ein Buch, eine Rhythmik, angekündigt, das ich vor manchen liebem Jahre schon schreiben konte, allein ich weis nicht, aber veranstaltet war, das ich nie die organische, geschweige gemüthlich heitere Kraft zu einer Vollendung erschwingen durfte, ganz abgesehn von hie und da wie es schien unterdrükter Theilmahme. Ähnlich wird noch eine Shakespear'sche Übersetzung seit länger als anderthalb Jahren vom Buchhändler zurückgehalten.
Kein Monat ist hier verstrichen, wo ich nicht geschrieben oder auf Antwort gewartet hätte, die oft, gegen die gemeinste Humanität, bei ungetrübten, auf gegenseitige Liebe und Achtung gegründeten Verhältnissen, nicht erfolgte, da ich doch Quellen genug wissen muste, wo eine Aushülfe kaum eine Zumuthung schien, da anfangs ein Weniges gethan hätte, wozu nun Sum̅en erfordert werden.
Meine Lage ist also veranstaltet und hängt zusam̅en mit weit verbreiteten Heimlichen, die, eingestanden, gegen besseren Willen eine Bande bilden müssen, die mich den Has einer ganzen Kaste, aus Gewissensfurcht wegen der an mir verübten Schlechtigkeiten, leicht überal in Deutschland möchte wiederfinden lassen. Den ich weis mich sehr gut empfohlen und meine unbescholtenen Zwecke hinlänglich gekan̅t, auch von lauschenden Schurken. Experimentiertes Elend aber wirkt doppelt verderblich, als Lüge von Haus aus. Warum hat man den nie den leichten nothdürftigen Erwerb gestattet, der niemand einen Heller gekostet und mich vor jeder Verlegenheit geschüzt hätte, bis ich, durch ein par selbständige Werke freilich bedeutender, mit eintreten kan in öffentliche Verhältnisse, wen man nicht durchaus befangen wil, wen man es ungestraft wagen darf, mein rares Dichten und Denken zu beschnüffeln? — also wol jezt noch zu bestehlen, wie früherhin? — —
[Blatt 3] Meine Tracht halt'ich für eine vernünftige, anspruchslose, die Zinsbarkeit ans Ausland bekämpfende, anständige, als Waffenrok in lezten Kriegen geheiligt, des Mannes würdige, den Vortheilen der Uniform nahe; für die geschmackvollste, am wenigsten fratzenhafte jezt vergön̅te, wie alle Künstler bezeugen; endlich angemessen dem freieren, künstlerischen, in bürgerliche Kleinlichkeiten nicht befangenen Stande, der nichts vorzustellen hat als seine Einzelschaft. Diplomatische Verhältnisse liegen mir ferne, wären auch nie gegön̅t gewesen. Wer den Menschen wil, mus auch sein äuseres Erscheinen anerken̅en, und wer mich des Rockes wegen verschmäht, an dessen Achtung ist mir nichts verloren. Übrigens wär'ich sogar für eigensin̅ige Sorgfalt im Äuseren gestim̅t, erschien'es nicht lächerlich, der Folgen einer Unterdrückung sich zu schämen die jezo beinah zur Beehrung geworden ist. —
Und wen sich nun erweisen liese, das meine dermalige Bemühung gar nicht so aufs Gerathewol begon̅en, das Bezweckte, auch ohne mein Verdienst, an sich schon, vollgültig wäre, historische Würde behauptete, in unserer literarischen Periode gar nicht fehlen dürfte, Niemand beleidige, den Dank aller verdiene, mir selbst keinen Vortheil bringe; ferner, aus zufälligen, einfachen Gründen auch von keinem Landsmanne auser mir gerade in diesem Sin̅e jezt geleistet werden könte, allein auch nicht anders als mit unbedingter Hingebung an den vielseitigsten Fleis, mit freiwilliger Verzichtung auf die Beehrung der Menge, mit strengster Absonderung von der befangenden Zeit zu leisten sei, und das jeder frechstörende Eingrif zu einer Schandthat am deutschen Treusin̅e für Humanität werden müste — was ich alles dereinst zu erweisen mich hiemit verpflichtet haben wil! — : wär'ich dan nicht im Innerstem verpflichtet, einem solchem Berufe selbst auf die Gefahr mich hinzugeben, auch die lezten Tage der Jugendlichkeit Genuslos, vernichtet, bespöttelt, verfolgt und darbend mich hinzufristen, ja vielleicht das künftige häusliche und öffentliche Glük worauf ich vollen Anspruch mache, zu verküm̅ern? — Das sag'ich Ihnen; meine vertrautesten Freunde wissen es auch, aber nicht weil ich es gesagt habe. — erstickt man aber die Fülle der Heiterkeit für meine Schöpfung, so war die Schuld nicht mein, sondern derer die mich besser zu ken̅en als zu verstehen vorwitzig genug waren, aber nicht halfen, auch wo sie kon̅ten.
Wie viele Mühe hab'ich mir seit 1816. und früher schon gegeben, nur eine Übersetzung oder sonst literar. Mitarbeit aufzutreiben. Manche Buchhändler haben mir auf angetragne Vorschläge gar nicht geantwortet, und hinterher erfuhr ich, das es leid thue, so verfahren zu sollen.
Ihre Güte schlägt meine Fähigkeit im Zeichnen, die auch bei Ihnen, auser Hartman, Karus, Friedrich etc. die einzige Aufmunterung und Gönnerschaft gefunden, zu [Blatt 4] hoch an. Noch kan ich mir selbst nicht genügen. Es sind fast 4. Jahre das ich vergeblich nach Ölfarben lechze; es ist der dritte Winter, das mir unmöglich war die unerläsliche Perspektive gründlich auszuarbeiten, oder die Studien in Proportion und Physiognomik anzuwenden, vor welchen ich nie mich Bildnismaler nen̅en kan. Zwei Jahre könten mich so weit bringen als die Meisten sind welche nach Rom gehen, allein auch die 4. bestim̅ten Stunden täglich sind längst unterbrochen und führen doch zu nichts Abgeschlossenem ohne den Unterricht zu Überlieferung der Technik. Wolte ich tagelang zeichnen, wo bliebe mir Zeit für die Hauptsache, in der ich mehr und mehr versäumen sol?
Lektionen hab'ich hier gesucht, sofern ich dadurch armen Studierenden nicht zu nahe träte, allein ich bekenne, es mislich zu finden, das Einer trivial=Stunden gäbe, der viel etwas besseres thun könte. —
So bleibt mir nichts übrig als entweder die nicht eben ungeheuere, nur aus privat=Gründen erfreuliche, sogar im Todesfalle durchaus gedeckte Unterstützung in Deutschland zu finden, oder ans Ausland zu gehen, wen auch mit Verlust noch mancher Jahre und manchen Glükes, doch nicht gänzlicher Vereitelung meines Zweckes.
Schlieslich darf ich behaupten, das mein sitliches Mitleben unbescheltbar sei und in sofern den Vernünftigen von meiner Seite nichts im Wege steht. Kom̅'ich wenig in die Kirche, so kom̅'ich auch nie in öffentliche Gesellschaft; gebietet mir meine Erfahrung, auch sogar die Hostie nicht von einem Geistlichen anzunehmen, dessen Persönliches mir nicht genau bekan̅t ist; vermeid'ich lieber selbst geheilligte Gebräuche, wen eine entwürdigende Mystifikation dabei vorläufig nicht zu umgehen wäre: so wird mir doch Niemand vorwerfen kön̅en, das ich jemals über Religion und Kultus verächtlich oder nur abrathend mich geäusert hätte. Noch Niemand hat Erklärung über den Grund meines Verhalten verlangt. —
Haben Sie nun dieses geduldig durchgelesen, so versichere ich Ihnen der meine Art sich zu äusern nachsichtvol ken̅t: es sei blos abgenöthiget von dem Gefühle wahrer Ehrfurcht und unbegränzter Hochachtung womit ich im̅er sein werde
Ew. Hochwolgeb.

Gemäs Ihrem Wunsche etwas von meinen
Aufsätzen zu sehen lege ich bei was
eben zur Hand ist, um Erlaubnis
zu ferneren Mittheilungen bittend.



Dankbarst verpflichteter Schuldner
KarlFriedrichWildenhain.







x [der Text der Fußnote ist leider unleserlich]



Brief Wildenhain an Karl Ludwig von Knebel [2] - GSA 54/292

mit freundlicher Genehmigung der Klassik Stiftung Weimar



Hauptseite
Schriften: chron. / syst.
Voriges:  chron. / syst.
Nächstes: chron. / syst.