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Es giebt eine
Art Referenten, die darum äußerst lästig werden, weil,
wenn sie von ihrem Enkel einen Vorfall des heutigen Tages erzählen
wollen, sie von Adam, oder wenigstens von der Sündfluth her
ausholen: unter diese muß ich mich nun schon für diesmal
vielleicht zählen lassen. Es läßt sich aber nickt
ändern. - Der Herr Herausgeber dieser Zeitschrift sagt einmal in
derselben, es herrsche in der Psychiatrie eine gar schlimmer [sic]
babylonische Sprachverwirrung, und man sei fast Wort für Wort
genöthigt, einander zu fragen, ob man dieß oder jenes
darunter verstehe. Es herrscht dieses Übel in der Psychiatrie
nicht allein, jedoch in ihr vorzüglich. - Deshalb also möcht’
ich nicht gern sogleich mit den alten vieldeutigen Worten eine Strecke
darinnen anfangen, sondern lieber am eigentlichen Anfang die
Gränzposten ein wenig ins Auge fassen.
[57] Es drängt
sich da vor Allem die uralte Frage auf: Wie verhalten sich Leib und
Seele zu einander? immer als noch nicht genugsam gelöstes
Räthsel. - Allein darin liegt eben gleich vornan der Knoten,
daß man das Menschenleben von jeher passiren ließ, unter
den beiden Namen „Leib und Seele,“ von denen bald der eine, bald der
andere zum Geschlechts oder Vornamen gebraucht wurde -
Man denkt sich diese zwei als Gegensätze: der einzelne Mensch ist
eben ihre Zweieinigkeit. Es ist wahr, den Ausdruck des Gegensatzes
finden wir in der kleinsten Einzelnheit stets wiederholt, und wir
können uns im Geiste durch eine ungeheure Perspektive von
Gegensätzen rück= oder herabwärts durchdrängen, die
durch immer steigende Subsumtion immer kolossaler werden. Die beiden
Schlußsteine am untersten Anfang der Einzelnbildung,
Individualisirung, sind das freie
Princip und das nothwendige.
Vom
freien Principe muß ausgesagt werden, es sei das
Thäthige, Treibende, Schaffende, Zeugende, das seine Idee, ins
Unendliche in jeder beliebigen Richtung fortstrebend, zu realisiren
trachtet; es sei ewig, unveränderlich. - Vom nothwendigen Princip
hingegen muß ausgesagt werden: es sei das Unthäthige,
Hemmende, Zerstörende, Trennende, nur Einer Richtung gehorchende,
und dieß nach blinder Gesetzmäßigkeit; das ins
unendlich Kleine sich Verlierende, Allerzeitlichste,
Veränderlichste.
Allein auch hier bei diesem Dualismus können wir nicht stehen
bleiben. - Es giebt nur Eines von zuunterst bis zuoberst, um menschlich
von dem ewigen Wesenringe zu sprechen: und dieses Eine ist der Geist,
jenes freie, ewige Princip. Der Weg, auf dem dasselbe in unendlichen
Stu=[58]fen zur vollkommensten
Selbstanschauung, zum vollendetsten
Selbstbewußtseyn gelangt, in das Wesen Gottes zurückkehrt,
ist durch die Stufen endlicher Wesengattungen bezeichnet. -
Überhaupt giebt es keine wahren Gegensätze, d. h. es giebt
keine Zeiheit, wo das Eine ganz Gleichbedeutendes in der einen
Beziehung auf ein Ganzes wäre, gegenüberstehend dem Anderen
in der andern Beziehung auf dasselbe Ganze; wenn von Polarität die
Rede ist, so muß von ihr unzertrennlich das Gesetz der
Continuität gedacht werden. Das Eine ist immer gegen das Andere
ein höheres. Zum Beispiel dienen das weibliche und männliche
Geschlecht in der Menschengattung.
Was vom freien Princip gesagt ist, gilt von der Seele, diese ohne alles
Leibliche gedacht; das vom nothwendigen Princip Ausgesagte aber soll
von der Materie gelten, diese ohne alle Beseelung gedacht. - Allein die
Materie ist eben selber nur die Erscheinung der Existenz des Geistes
auf einer niedrigern Stufe. Das erste Produkt dieses ewigschaffenden
Princips ist eben die Materie; und man mag gar wohl jenen Uräther,
den einige Naturphilosophen noch, wie die Alten, als die
Urzweieinigkeit, Indifferenz von Geist und Materie ansprechen, nur eben
als den ersten (untersten) Ausdruck dieser Produktion zum Behuf der
endlichen Erscheinung gelten lassen. Die Individualisirung aus dieser
Urmaterie beginnt zunächst mit den einzelnen Sphären. Jede
dieser Sphären individualisirt sich wieder in’s Unendliche fort;
und zwar so, daß im Verlauf der stetigen Reihe der Einzelwesen,
in Bezug auf unsere Erde, die drei weitesten Stufen in der physischen
Welt (Quadrat), organi=[59]schen Welt (Cubus) und in der menschlich=geistigen Welt (Biquadrat) bezeichnet
sind.
So strebt der Geist allmählich durch die Materienbildung hindurch,
und an ihr hinan zu seinem Ziele (für die jetzige Existenzform),
der Gedanken=,
Ideenbildung, bis
er sich im vollkommensten
Selbstbewußtseyn ganz selber reproducirt hat. In dem Einzelwesen
bedingt die allein ewige Natur des Geistes dessen Produkt, die Materie
so, daß die an sich allerzeitlichste, vergänglichste Materie
nur in einzelnen Zuständen, deren letzter der Tod ist,
erscheint,
als unvollendeten Versuchen ihrer momentanen Vernichtung, die dadurch
zu einer zeitlichen Verwandlung des individuellen Bestehens binnen
gewissen Gränzen modificirt ist; und daß das ewige, an sich
unbegränzte und ungehemmte Streben des Geistes durch jene
Zustände der Materie, als durch sein selbstgeschaffenes Organ,
auch als bereits zum Bewußtseyn erhoben, begränzt und
gehemmt wird; dessenungeachtet aber an sich nie irrt, nie stockt, nie
aufhört.
Bleiben wir nun folglich bei der höchsten Individualisirung
stehen, bei dem Menschen, so wiederholt er als Mikrokosmos das Ganze an
sich. Jene Steigerung der Existenzerscheinung des Geistes durch die
drei Weltordnungen im ganzen Verlauf der Erdentwickelung, wiederholt
auch er. Während des Fötuszustandes ist der ganze Geist des
Individuums im Dienste der Materie befangen, seinem Ziele, der freien
Selbstanschauung, am fernsten; er baut im Dienste der Nothwendigkeit
seinen eigenen Leib. - Erst von der Geburt an beginnt der Geist, sich
theilweise dieser Dienst=[60]barkeit zu
entheben: und dieß
geschieht, also das Streben nach seinem Ziele, nach endlicher
Durchbildung durch die Materie, in demselben Verhältniß mit
besserem Erfolg, als die leibliche Zunahme des endlichen Individuums im
Verhältniß zur Dauer geringer wird, oder richtiger umgekehrt
gestellt: jemehr der Geist ins Bewußtseyn tritt, desto mehr wird
er der Materienbildung entzogen, desto mehr muß also der
leibliche Organismus sich dem Tode nähern. - Ein Theil des Geistes
bleibt also, so lange das individuelle Leben besteht, immer noch blind
und bedingt die Funktionen des bildenden Lebens, während der
andere die des vorstellenden Lebens bedingt.
Sehen wir uns nach den materiellen Heerden dieser beiden
Lebensrichtungen, oder eigentlich Lebensstufen (Polarität und
Continuität) um, so bieten sich uns im Nervensystem, der Einheit
und Geschlossenheit im leiblichen Organismus, und eben daher dem
unmittelbarsten Organ des ewigen Strebens, als solche das Abdominalsystem (Gangliensystem) und das Cerebralsystem dar, welche
beide ihre Indifferenz im Dorsalsysteme (sympathischen Nerv und
Rückenmark) finden. -
Das bildende Leben geschieht in seinen Funktionen mit relativer
Nothwendigkeit (unwillkürlich), das vorstellende, bewußte
Leben mit relativer Freiheit (willkürlich). Indeß das
Streben des freien Princips im Einzelwesen, im Menschen, als dessen
Seele an sich schranken= und zwanglos, ohne Unterbrechung ewig gleich
rege ist, ist das Leibliche von Moment zu Moment eines Wechsels der
Form seines Seyns, d. h. einzelne Zustände fähig, welche
Zustände aller Einzelwesen, nach Verhältniß ihrer
Dignität [61] sich einander selber gegenseitig bedingen;
indeß sie alle ursprünglich in dem unablässigen
Aufstreben des Geistes von der Materienbildung zur Gedankenbildung
(Selbstreproduktion, Selbstbewußtseyn) begründet sind. Alle
Einzelwesen gehen aus derselben Ureinheit hervor und in einem ewigen
Kreislauf in einander über: deshalb sind sie alle näher oder
ferner verwandt, nach dem höheren oder niedrigeren Grad der
Individualisirung. Diese letztere hob nicht alle Gemeinschaft auf,
sondern brach sie nur vielfältig und gradweise (Sympathie im
allgemeinsten Sinne).
Wir sprechen von einzelnen Richtungen jenes an sich allseitigen,
ewiggleichen Strebens im Einzelwesen, und zwar von Richtungen sowohl im
bildenden, der relativen Nothwendigkeit noch angehörigen Leben,
als im vorstellenden, mit freiem Bewußtseyn verbundenen
(Objektivität und Subjektivität), und nennen dieselben eben
Funktionen. -
Gemeinschaftlich sind denn nun demnach dem blindnothwendigen
(somatischen) Leben und dem frei selbstbewußten (psychischen)
zwei Hauptrichtungen, nämlich von außen nach innen, und von
innen nach außen, die aus dem allgemeinen Zusammenhange alles
Einzelnen nothwendig folgen, und die man gewöhnlich bei ersterem
Assimilation und Egestion, bei letzterem Erkennen und Wollen nennt. Als
untergeordnete Richtungen der Assimilation nennt man weiter Digestion,
Sanguifikation und Respiration; - die der Egestion: Nutrition,
Muskelaktion und Ex (Se=) cretion. - Die untergeordneten Richtungen
unter
Erkennen sind: Sensation, Verstand, Vernunft; - die unter Wollen: Trieb
(Willkür), Gewissen, Wille. - Die somatischen Funktionen finden
ihren einigenden Mittelpunkt in der Cirkulation; die [62] psychischen
im Gemüthe. - Und wieder erleidet jede dieser Richtungen, je
höher individualisirt der Organismus ist, desto mehr Reflexe durch
Vereinzelung und Vervielfälgung der Organe.
Vor Allem muß nochmals wiederholt werden: das Streben des freien
Princips, als des Ewigen, Unveränderlichen
(Nichtzusammengesetzten), ist unabänderlich dasselbe. - Darin
liegt eines Theils der Grund, warum das Schema der sogenannten
Geistesfakultäten nothwendig dem Schema der leiblichen Funktionen
Punkt für Punkt entsprechen muß. Denn es bleibt stets
dasselbe Streben, sei sein Ziel so viel oder so wenig erreicht, als da
will, d. h., sei noch so viel oder so wenig des freien Princips in der
Materienbildung befangen (Lebenskraft), das sich noch nicht zum freien
Selbstbewußtseyn durchgebildet hat, im Gegensatze zu dem schon
durch die Körperlichkeit, aus dem Gebiete relativer
Nothwendigkeit, in das Gebiet des freien Selbstbewußtseyns (der
Seele im engeren Sinne) gelangten.
Um nun zunächst bei dem körperlichen Leben stehen zu bleiben,
so ist, nach dem, was wir von der individuellen Materie bereits gesagt,
zunächst der Begriff von absoluter
Gesundheit zu
berühren. Der
Unterschied zwischen absoluter und relativer Gesundheit, wenn die Worte
nicht verdeutelt werden sollen, ist nichtig. Wir sprechen von
Gesundheit überhaupt nur bei Einzelwesen. Zu einer absoluten
Gesundheit wäre erfordert, daß die Materie des Individuums
eben so stätig in demselben Zustande beharrte, als das Streben des
Geistes. Da aber alle individualisirte Materie, vermöge des sich
beständig ihrer Bildung entziehenden, ins Bewußtseyn
vorrückenden Geistes, und des allge=[63]meinen
sympathischen
Zusammenhangs, durch die unaufhörliche, vielseitige Berührung
mit anderen Einzelwesen (Einflüssen) unablässig in ihren
Zuständen wechselt: so trifft das geistige Streben stets auf ein
anderes beschaffenes Materiale: und da zu einer Funktion im Einzelwesen
die Materie und ein sie Durchstrebendes gleich erforderlich sind, so
ist der Vorgang einer jeden Funktion beständigen Abweichungen
unterworfen. Es giebt deshalb keine andere, als relative Gesundheit, so
wie es auch nur relative Krankheit giebt: in jenem beständigen
Wechsel der Zustände der Materie, und somit der Funktionen, gilt
Gesundheit und Krankheit durchaus nur vergleichungsweise.
Aus dem, was bereits gesagt ist, von dem wechselseitigen
Verhältniß der vermeintlich beiden Principe, die zusammen
die endliche Existenzform eines Individuums begründen, wobei wir
nur immer im Auge behalten dürfen, daß die Materie selber
nur die niedrige Erscheinungsweise des einen Princips, des Freien, des
Geistes ist, erhellt nun weiter zunächst die Wahrheit des
neuerlich wieder bestrittenen, aber wohl begründeten Satzes:
„animus non aegrotat.“ Man will behaupten: so gut einerseits im
leiblichen Organismus, aus ihm selber begründet, Krankheit
entstehe, so könne auch aus der Seele andererseits Krankheit
hervorgehen. - Man meint hier Seele im engeren Sinne,
gegenüberstehend einer Lebenskraft (wie wohl auch Manche
unterscheiden: Psyche und Thierseele). Allein schon die Thierseele oder
Lebenskraft, die eben keine von der Seele specifisch verschiedene Kraft
ist, sondern sie selber im Bereich einer niedrigeren Erscheinungsweise,
und deren Verhältniß zur Psyche durch alle neuerlich
gebrauchte Bilder, [64] selbst das von Wurzel und Blüthenkrone
desselben Baumes nicht ausgenommen, unrichtig versinnlicht wurde,
erkrankt nie, oder giebt Anlaß zu körperlicher Krankheit;
sondern schon diese ist stets nur in dem Mißverhältniß
der Materie in ihren verschiedenen Zuständen zu dem ewig gleichen,
obwohl für jetzt noch in der Materialität begriffenen, freien
Princip gegründet: - wie soll nun ein sogenanntes psychisches
Krankseyn durch das bereits seinem Ziele näher gekommene, bereits
wieder zum Bewußtseyn und relativer Freiheit gelangte ewige
Streben bedingt werden können? -
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Sehr ernst und gewichtig sind
allerdings, unter den dieser Behauptung entgegengesetzten Gründen,
besonders die Fragen: wenn der Seele Eigenthum Freiheit ist, wie soll
Unfreiheit, der Grundcharakter des psychischen Krankseyns, aus ihr
kommen? - und: soll die Seele erkranken können, wie ihre
Unsterblichkeit retten? Ist Erkrankung der Seele möglich, dann ist
nichts Ewiges an uns: Krankheit ist Annäherung, ja Uebergang zum
Tode. - Das schwächste Bewußtseyn weist diesen entsetzlichen
Gedanken mit Sicherheit zurück. Die Seele im engeren Sinne, d. h.,
was des freien Princips ins Licht der Selbsterkenntniß sich durch
das selbstgeschaffene Chaos der Materialität, vom tiefsten,
unlebendigsten Erdkerne herauf bis durch den Menschenleib,
hindurchgebildet hat, ist ja selber der Inbegriff der Ideen, die wir
vereinzelt Wahrheit (Schönheit) und Tugend nennen, von denen
Ewigkeit unzertrennlich ist. -
Ueberhaupt
verwechselt man gar häufig die Erscheinungen der Seele mit ihr
selber, und also deren Urgrund (hier findet auch der trostlose Gedanke
von Geistesabnahme im Alter seine Zurechtweisung).
[65] Was hat es denn nun aber mit
dem Unterschied von körperlicher Krankheit und psychischem
Irreseyn für eine Bewandniß? - Wir theilten ab in Funktionen
des bildenden (somatischen) Lebens und Funktionen des vorstellenden
(psychischen) Lebens; wir deuteten bereits an, daß es
überhaupt einzelne Funktionen gebe; d. h., daß das ewig
gleiche, allseitige Streben des freien Princips nach einzelnen
Richtungen täthig erscheint, sei auch schon Folge der
Vermählung der Psyche mit der Materie: - wir mußten hieraus
und aus anderen Gründen behaupten, alle Abänderung in den
Vorgängen der sowohl somatischen als psychischen Funktionen sei
einzig und allein in den stets wechselnden Zuständen der Materie
begründet, es mögen nun jene Abänderungen in die
Gränzen der relativen Gesundheit oder der relativen Krankheit
fallen. Nur die Materie ist Ursache, ob irgend eine Funktion in Bezug
auf das Individuum zu schwach (?) oder zu heftig (?) oder alienirt
ausgeführt wird. - Wir berührten nun ferner, daß sich
als Heerde beider Lebensstufen der deutlich bestehende Gegensatz im
Nervensysteme darbiete. - Die Bestimmung des Abdominalnervensystems
würde nie begriffen werden, wenn man blos bei seiner knotigen
Struktur stehen bleiben wollte; und, von dieser aus die Natur dieser
einen Seite des Nervensystems berechnet, wird immer eine negative
Funktion, deren wir leider in der Physiologie noch immer manche haben,
d. h. ein Lückenbüßer, herauskommen, die
Mangelhaftigkeit der organischen Einrichtung auszufüllen oder gar
durch andere Funktionen angestiftetes Unheil wieder gutzumachen. Das
sogenannte Gangliensystem (der organische, vegetative, automatische
u.s.w.)
hat nicht die gewöhnlich angegebene Funktion [66] des
Sensationsbrechens und Hemmens, weil es diese knotige Struktur
hat, -
sondern es unterscheidet sich durch die knotige Structur (Contraction)
von dem Gehirne (Expansion), weil es die Bestimmung hat, den
Zusammenhang des Individuums von leiblicher Seite mit allem anderen
Körperlichen zu vermitteln, indeß das Cerebralsystem
denselben von geistiger Seite vermittelt; mit anderen Worten: jenes
bezeichnet die untere Stufe der Existenz des freien Princips im
Menschen, indem sich dasselbe in den mit relativer Nothwendigkeit
geschehenden leiblichen Funktionen (als sogenannte Lebenskraft)
manifestirt; dieses bezeichnet die höhere Stufe, indem dasselbe in
Bezug auf die mit Freiheit erfolgenden psychischen Funktionen
geschieht. Dort gilt die Thätigkeitsäußerung des freien
Princips für die Materie, hier geschieht
dieselbe durch die
Materie.
Dem zufolge
verhält sich also bei aller Krankheit die Fähigkeit
der
Materie, vermöge der allgemeinen Sympathie, Einflüsse zu
erfahren, als Inbegriff der sogenannten vorbereitenden Ursachen
(Diathesis): - ein Aeußeres, sowohl die ganze materielle
Außenwelt, als wieder, vermöge der Sympathie im Kleinen, im
einzelnen Organismus einzelne Organe und Organenpartieen, als entfernte
(auch sogenannte gelegentliche, existirende) Ursachen: - der
specifische Zustand der individuellen Materie als nächstes Ursache
(Wesen): - die Abänderung im Vorgange der Funktion als Symptom. -
Und ferner geht aus dem Vorausgeschickten hervor, daß ein solcher
Zustand der Materie, sowohl im Bereich des Substrats der psychischen
Funktionen, als der somatischen, primär von der Außenwelt
bedingt seyn kann, oder jene Funktionen durch diese, [67] und
umgekehrt, nachdem der eine Pol vorher primär erkrankt war.
(Antagonismus und Sympathie zwischen Cerebral= und Gangliensystem.)
Es folgt
hieraus weiter, daß die neuerlich enger gezogenen Gränzen
der sogenannten Seelenstörungen, die man durchaus als primäre
Abweichungen des Seelenlebens, ohne alle Verschuldung der Materie
begriffen wissen will, d. h. als Beschränkung der Freiheit, aus
der Freiheit selber hervorgegangen - wozu man freilich den leibhaftigen
Teufel zu Hülfe rufen muß - unstatthaft seien. - (Ich
bemerke hier, daß dieß nicht blinde Anhänglichkeit ans
Alte ist, sondern daß ich erst, nachdem ich in dem eben
getadelten Sinne über psychische Krankheiten Vorlesungen gehalten
hatte, zu diesem Urtheil gelangte.) - Ist nun zwar sogar ein
größeres Gebiet für die Psychiatrie wieder
einzuräumen, so fragt es sich: was kann dieser Ansicht zufolge von
der sogenannten direkt=psychischen
Methode gehalten
werden? Ist denn
nicht eben dieser in leisen Zügen bisher angedeuteten Ansicht nach
überhaupt alle unmittelbar psychische Berührbarkeit
unmöglich?
Hier stehen
wir vor dem noch nicht genug ausgemittelten Wesen des Gemüthes
(des Herzens), von dem ich schon früher mit ziemlicher subjectiver
Sicherheit behauptete, es sei der Brennpunkt des ganzen leiblichen und
geistigen Lebens; es gehöre beiden zu gleichen Hälften an,
sei die Indifferenzlinie zwischen den beiden Polen eines Magnets.
Daß dieses sein Substrat in der Brust finden müsse, glaub’
ich noch, wie früher, da ich es in das Dorsalnervensystem zu
setzen mich berechtigt glaubte. - Möge uns der vielumfassende Herr
Herausgeber dieser Zeitschrift [68] noch ferner Manches schenken, die
Beziehung des Gemüths zum organischen Herzen betreffend! -
Das geistige
Wesen des Menschen ist, so glaub’ ich, stets nur mittelbar durch das
Leibliche berührbar (es hat dieß ebenfalls eine neuere
Schule etwas zu grob benutzt); aber diese leibliche Vermittlung hat
eben so mehrere Stufen, als die materiellen Gebilde des Organismus
selber in einer Dignitätsabstufung zu einander stehen. Den
höchsten Punkt, da, wo ununterscheidbar Nothwendigkeit und
Freiheit in einander osciliren, macht eben das Gemüth, dieser
Messer der einzelnen Zustände unseres ganzen Wesens, in Beziehung
zu unseren Erkenntniß= oder Willensakten. Das französische
traitement moral, das englische government, wie die Heinroth’sche Kraft
des Willens, kurz alle sogenannte direkt=psychische Methode ist
fruchtlos, außer insofern sie das Gemüth trifft. - Doch
hierüber mich insbesondere weiter auszulassen, wird mir
hoffentlich demnächst einmal vergönnt seyn.
Ist nun
somatische Krankheit Abweichung der Funktionen des bildenden Lebens,
und also im Bereich der negativen Seite des Nervensystems, in einem
solchen Grade, wie wir sie nicht mehr in das Gebiet relativer
Gesundheit einschließen, und begründet durch Zustände
der Materie, die ebenfalls nicht mehr in die gewöhnlichen
Gränzen der relativen Gesundheit aufgenommen werden können; -
ist psychisches Irreseyn in eben solchem Grade Abweichung der
Funktionen des vorstellenden Lebens, und also im Bereich der positiven
Seite des Nervensystems, durch ähnliche Zustände der Materie
bedingt, die theils geradezu und primär in derselben gesetzt seyn
können, wie durch mechanische Verletzung, oder durch
vorausgegangene somatische Krankheit [69] so fragen wir nun weiter: wie
unterscheidet sich von beiden, und in welchem Verhältnissse steht
zu ihnen die Sünde, die man bald recht eigentlich Seelenkrankheit
nennen zu dürfen glaubt, bald als entfernte Ursache des
psychischen Irreseyns geltend zu machen sucht?
In dem Sinne,
den man damit verbindet, ist nach unserer Ansicht durchaus keines von
beiden zulässig. - Nach der ersteren Meinung wird die nächste
Ursache dieses Zustandes eines abnormen Seelenlebens in den Geist (das
freie Princip) selber gesetzt, an etwas Leibliches dabei aber gar nicht
gedacht, so sehr umsichtige Männer auf Bildungsabweichungen in den
Leichnamen von Verbrechern u.s.w. aufmerksam machten; - allein wir
haben schon einmal gefragt: wie kann das Freie aus sich selber unfrei
werden?
oder, was hier dasselbe ist: wie kann sich das absolute Streben selber
von seinem Ziele ab= und umkehren? - Nach der Behauptung der Anderen
ist nicht bloß dieselbe Unmöglichkeit postulirt, dann ferner
aber auch nicht einzusehen, wo ein Grund herkomme, vermöge dessen
man einen Unterschied macht zwischen eigentlicher „Seelenstörung,“
wie man das psychische Irreseyn nennt, und zwischen „Leidenschaft, Wahn
und Laster“; da doch die bloße Quantität der Abweichung
desselben Seelenlebens diesen unmöglich abgeben darf. Denn
daß man die Dauer den Unterschied machen
läßt, ist
ganz und gar willkürlich, und es ist nach allem Vorausgegangenen
gerechtfertigt, daß der Rausch, um das auffallendste Beispiel zu
wählen, unter die psychischen Irreseynsformen gehöre; und
kann denn etwa wirklich Sündhaftigkeit als ein nur so
vorübergehender Zustand angesehen werden? - Nimmermehr!
Und dennoch
giebt es einen Unterschied zwischen Sünde [70] und den
betrachteten Zuständen. - In der Natur des ewigschaffenden Geistes
liegt für den Menschen die Nothwendigkeit zu handeln, d. h., die
erkannte (bewußtgewordene) Idee zu realisiren. Diese Forderung
dauert während der ganzen individuellen Existenz; - eben so lange
besteht aber neben dieser Forderung, das zu realisiren, was im klaren
Bewußtseyn aufgegangen ist, auch die egoistische Forderung, das
zu realisiren, was im Bereich der Materienbildung und für dieselbe
als κατ’ εξοχην
sogenannter Trieb sich ausspricht, und was
gewissermaaßen keine andere ist, als die durch die Materie
ausführbare, ursprünglich aber durch einen freien
Entschluß bedingte Hemmung des zur Selbsterkenntniß
strebenden Geistes. Dieser Trieb, der gesteigert Leidenschaft
heißt, hat, seine Richtung sei welche sie wolle, die Tendenz,
irgend eine leibliche Funktion bestehen zu machen, sie selbst auf
Kosten einer Seelenfunktion zu begünstigen; sonach das Streben des
Geistes nach Selbstanschauung zu retardiren, indem er es
verhältnißmäßig über die Gebühr
für die Materienbildung (im weitesten Sinne, so daß
überhaupt die leiblose Existenz als Ziel des geistigen Strebens
betrachtet wird) in Anspruch nimmt. Zu jeder Zeit der individuellen
Existenz ist nun aber der Geist zum Theil noch in der Materienbildung
begriffen, zum Theil im Aufblühen ins Selbstbewußtseyn; zum
Theil ist er bereits zur Selbstanschauung gelangt. In dieser letzteren
Hinsicht ergeht nun in Bezug aufs Handeln (Verhalten im weitesten Sinn,
so weit es von freier Selbstbestimmung abhängt) die unbedingte
Forderung an den Menschen, das ins Bewußtseyn Getretene zu
realisiren. - Nun ist wohl aus dem Vorausgegangenen klar, daß die
Realisirung des [71] Inhalts des Triebes und der Leidenschaft der
Realisirung des Inhalts der Idee untergeordnet werden müsse,
welche Forderung deutlich in der Idee selber inbegriffen ist
(Gewissen). Kehrt dieß nun aber der Mensch um, giebt er der
Forderung des Triebes auf Kosten der Idee Gehör - : so
sündigt er.
Indem also
somatische Krankheit in Störung der Funktionen des bildenden
Lebens besteht, psychisches Irreseyn in Störung der Funktionen des
vorstellenden Lebens, beide aber durch specifische Zustände ihres
materiellen Substrats zunächst bedingt sind; - indem ferner diese
specifischen Zustände des materiellen Substrats rücksichtlich
der somatischen Krankheit nach dem Gesetze der Naturnothwendigkeit
durch den sympathischen Zusammenhang alles Einzelnen von der
Außenwelt weiter bedingt sind; indeß hierbei
rücksichtlich des psychischen Irreseyns sich selbst wieder
körperliche Krankheit als Aeußeres, und sonst als entfernte
Ursache verhält, aber ebenfalls im Gebiete relativer
Nothwendigkeit: -
so besteht
die Sünde in der Unterordnung der Forderung der ins
Selbstbewußtseyn verklärten Idee unter das Begehren des
Triebes und der Leidenschaft, - in sofern diese verkehrte Unterordnung
auf freier Selbstbestimmung beruht. - Die Sünde kann demnach zwar
unter die sogenannten vorbereitenden oder prädisponirenden
Ursachen der somatischen Krankheit gezählt werden, und mittelst
dieser in Beziehung zur Entstehung eines psychischen Irreseyns kommen,
- gehört aber ihrer Natur nach weiter nicht mehr in den Bereich
der Medicin.
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