Lezter Brief von Friedrich Stapß.


Mitgetheilt von

Herrn Prof. Grohmann.
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Ich theile dieses Aktenstück aus den zuverlässigen Nachrichten einer Lebensbeschreibung zur psychologischen Beurtheilung mit. Es ist merkwürdig: erstlich zur Erkenntniß ähnlicher psychischer Zustände, die solchen gewaltsamen Ausbrüchen und Revolutionen der Seele vorausgehen; und zweitens zur eigenthümlichen Erkenntniß des Gemüthszustandes desjenigen jungen Mannes, der sich eben in den denkwürdigen Zeiten des verderblichen Despotismus zur Rettung des Vaterlandes dem Tode weihte.
Dieser junge Mann war Friedrich Stapß, Sohn des würdigen Predigers Friedr. Gottlob Stapß zu Naumburg, geboren den vierzehnten März 1792 und auf Napoleons Befehl 1809 zu oder bei Schönbrunn erschossen.
Wenige psychisch merkwürdige Umstände gingen dem kühnen Entschlusse in der Seele des jungen Mannes, so wie der Ausführung desselben vorher. Auf keine [136] Weise war eine solche oder ähnliche That etwa durch einen feurigen Charakter, durch überspannte Phantasie, durch Ehrtrieb u. s. w. bei ihm angezeigt. Der junge Mann ging den stillen Gang eines in sich sehr zufriedenen und stillen Herzens. Treu, fromm, bieder, gesellig und bescheiden, war er der Liebling seiner Bekannten und Freunde. Der erste Entschluß zu der Gewaltthat keimte wahrscheinlich bei der Anwesenheit des gefürchteten Herrschers zu Erfurt. Denn in dieser Stadt lernte eben damals der junge Mann die Kaufmannschaft. Der erste Entschluß scheint gezeitigt und angefeuert worden zu seyn durch Schriften des Heroismus, der tragischen Muse; die Ausführung des Entschlusses durch das damals drückende allgemeine Elend, welches freilich zur Rettung und Hülfe Selbstverleugnung und den höhern Heroismus eines Mädchens von Orleans foderte.
Die Lebensbeschreibung des jungen Mannes aus den Papieren des Vaters, so wie auch folgender Brief hat besonders darum für mich so grosses Interesse, weil ich sehe, wie auch selbst ohne das Feuer eines sinnlichen Heerdes in der moralischen Macht des Gemüthes Thaten keimen können, die man sonst nur den überspannten Kräften der sinnlichen Natur zuschreibt, und weil ich hier wieder einen neuen Beweis meiner frühern Behauptung finde, wie wenig Schuld von Schuldlosigkeit — der strenge Gang des psychischen Schicksals von dem freien Gebiete der Seele zu trennen ist. Die Lebensbeschreibung selbst ist in meinen Händen. Vielleicht kommt einmal Gelegenheit, sie ohne Scheu [137] herausgeben zu können. Denn der brave ehrliche Vater des heldenmüthigen Sohnes meint: „die jetzigen Zeiten sind zu ängstlich.“

Wie ich vor drei Jahren in Wien und Schönbrunn war, und mich nach dem Platze, wo der junge Mann erschossen wurde, wo seine Gebeine ruhen, erkundigte, erhielt ich auch nicht den geringsten Aufschluß. Es war mir eigen zu Muthe, ein Grab zu suchen, was nirgends aufzufinden war.

Alle Nachrichten stimmen darinn überein, daß sich der jungen Mann bei den Verhören, welche Napoleon selbst mit ihm anstellte, sehr standhaft bewieß. Er wollte keine Gnade haben von demjenigen, der so wenig Gnade und Gaben zu spenden gewohnt war.

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Theuerste Eltern!     

„Diesen Brief wird Ihnen der gute Vetter in Hassenhausen überreichen, nachdem er Ihnen beigebracht hat, daß Sie mich nie wiedersehen. — Ach! könnte ich Ihnen fühlbar machen, wie schwer mir es wird, dieses Ihnen zu schreiben und doch muß ich! Ja ich muß fort, fort, um zu vollbringen, was mir Gott geheissen, was ich ihm fürchterlich heilig geschworen habe zu vollbringen! Fort muß ich, um Tausende von ihrem Verderben, vom Tode zu retten und dann selbst zu sterben. — Was und wie ich es thun will, darf ich selbst Ihnen nicht entdecken! Schon vor einigen Wochen kam ich auf den Ge=[138]danken, dieses zu thun: doch fand ich überall Hindernisse.
Als zwei Tage darauf bei einer unangenehmen Nachricht ich Gott bat, mir Mittel zu geben, mein Vorhaben ausführen zu können: da wurde es mir so hell vor den Augen; mir war es, als säh’ ich Gott in seiner Majestät, der mit donnerähnlichen Worten zu mir sprach: „gehe hin und thue, was du dir vorgenommen hast; ich will dich leiten, dir behülflich seyn; du wirst deinen Zweck erreichen, doch dein Leben zum Opfer bringen müssen, aber dann bei mir ewig froh und selig seyn. Da hub ich meine Hände auf zu ihm und schwur fürchterlich und heilig, ihm zu gehorchen bis in den Tod und verlangte hier keine frohe Stunde und dort ewige Verdammniß, wenn ich meinen Schwur brechen würde. Auch schon damals hätte ich gehen sollen, aber ich war zu wankelmüthig, bereuete oft, was ich geschworen hatte. Doch mein Gewissen wacht jetzt auf und sagt mir: „gehe, eile fort! jetzt ist noch Zeit, aber die höchste Zeit! darum eile!“ Es reißt mich fort mit Riesengewalt zu meinem Schicksal hin, dessen Laufbahn bald geendet seyn wird; denn dann erwartet mich jene Seligkeit, jene ewige Herrlichkeit, die mir Gott verheissen hat. Ja, liebe Eltern, trauren Sie nicht über mich, freuen Sie sich, einen Sohn zu haben, der dieses unvollkommene Leben mit jenem schönern bald vertauscht. Ihnen nur verdanke ich es und Ihren guten Lehren, daß ich standhaft und Gott getreu bis in den Tod bin. Sie lehrten mich es, für Gottes Sache, für das Glück, für das Leben meines Nächsten nicht den Tod zu scheuen. Ja ich kann ruhig, freudig ihm entgegen gehen; wie die Apostel thaten, [139] will ich lächelnd sterben. Dort sehen wir einst verklärt uns wieder! Dort wird uns nichts trennen, nichts unsere Freude stören. Dort find’ ich auch die Geliebte wieder, die ich verlassen muß, denn Gott verlangt ein grosses Opfer. *)
So sage ich Ihnen, liebe Eltern, dir lieber Bruder und allen Freunden und Bekannten, daß letzte Lebewohl und meinen Dank für alles, was Sie von meiner Kindheit auf für mich gethan, für die Sorgen und Mühen, die Sie für mich hatten, für die guten Lehren und für alles, was Sie mir gaben. O Sie thaten es nicht vergebens, denn Tausende werden es Ihnen danken und für Sie beten!
Zu der Reise, die ich machen muß, hab’ ich verschiedenes, was ich nöthig habe, geborgt, auch etwas Geld; ich bitte Sie, dieses Letzte noch für mich zu bezahlen.
Den Schlüssel zu meinem Schranke hat —
So sey denn Gott mit Ihnen, wie er mit mir seyn wird, denn er wird immer mit seiner mächtigen Hand leiten
Ihren bis in den Tod gehorsamen
Sohn Fritz.

Ach ich kann noch nicht schliessen! Haben Sie nochmals für alles Dank! Verzeihen Sie mir meinen Fehler und das, womit ich Sie beleidigt habe, so wie auch, daß [140] ich Sie jetzt nicht um Rath fragte. Tausendmal habe ich zu Gott gebetet: Himmlischer Vater! Muß es seyn? Muß ich gehen? Wie soll ichs möglich machen? Du mußt fort! donnerte mir jene Stimme zu, ich begleite dich und führe dich, was brauchst du mehr? Sey unverzagt und gehe! Würde ich jetzt noch bleiben, so könnt’ ich keinem ehrlichen Menschen ins Gesicht sehen, ohne, als ein Meineidiger zu erröthen. Ein kalter, fürchterlicher Schauer würde mich überfallen, wenn ich an jenes Leben dächte, wo dann nur Qualen meiner warten würden. So denk ich jetzt mit Vergnügen daran, denn ich weiß, Gott wird mich aufnehmen in seine Herrlichkeit.
Am Sonntage war ich in der Kirche, da wurde vom Sterben gepredigt: dieses hat mich nun ganz standhaft gemacht und ich fühle die letzten Worte der Predigt in ihrem ganzen Umfange; sie hiessen:  „Erhaben überm Staub, unsterblich ist des Menschen Geist!“
Ueber diesen Brief keine weitern Bermerkungen; er erklärt sich selbst in allen seinen Motiven und Gesinnungen. Er ist, wie mir scheint, das beste Aktenstück der Erläuterung selbst. Dem jungen Manne kam auf einmal der Gedanke, — der Gedanke kam wieder, — die Mittel waren nicht gewählt, der junge Mann wußte selbst nicht, wie er es ausführen sollte - der Gedanke, möchte man sagen, war mächtiger als die That. — Es ist ein Beweis zu den frühern psychologischen Bemerkungen in dieser Zeitschrift, auf welchen mannigfaltigen Wegen der Schwäche und Stärke — die Schuld und Unverschuldung herbeieilt.


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*) [139] Wie Napoleon den jungen Mann, der sich für wahnsinnig erklären sollte, fragte, was seine Geliebte zu seinem Tode sagen werde, erwiederte dieser: „sie werde sich freuen, daß er für das Vaterland habe sterben können.“







Zeitschrift für psychische Aerzte: mit besonderer Berücksichtigung des Magnetismus / hrsg. von Fried[rich] Nasse. - Leipzig : Cnobloch, 1821. - Hft. 4, S. 135 - 140.