Ein ganzes Bataillon auf einmal vom
Alp befallen.


Von
Laurent,
Ober=Chirurgus bei der Leibgarde.

Aus Sedillot
s Journal général de Médecine, Bd. 63, S. 17 - 20.

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Die Schriftsteller der verschiedenen Zeiten haben dem Alp, den sie für eine Nervenkrankheit der Athmungswerkzeuge hielten, mancherlei Namen gegeben, und ihn von den mannigfaltigsten entfernten Ursachen hergeleitet. Der gemeine Mann, als Freund des Wunderbaren, schreibt ihn dem Einfluß irgend eines bösen Geistes zu; und auch in unseren Tagen haben wir gesehen, daß das Volk immer Volk bleibt, und daß alte Schnurrbärte, die bei Bellonens blutigem Spiel nie gezittert hatten, beim Anblick eines eingebildeten Ungethüms zum erstenmal Furcht fühlten, und mit sträubendem Haar entflohen.

[674] Das erste Bataillon vom Regiment Tour=dAuvergne, bei welchem ich Oberchirurgus war, erhielt, als es sich zu Palmi in Calabrien in Garnison befand, den Befehl, um Mitternacht von da weg, eilig nach Tropea zu marschiren, um daselbst der Ausschiffung einer kleinen feindlichen Flotte, welche diese Gegend bedrohete, Wiederstand zu leisten. Es war zu Anfang Juny, und der Weg betrug nahe an vierzig Millien. Wir marschirten um Mitternacht ab. Erst Abends um sieben Uhr kam unsere Schaar, höchst ermüdet, an dem Orte ihrer Bestimmung an. Weil wir am weitesten herkamen und zuletzt eingetroffen waren, so ward uns die schlechteste Wohnung zu Theil. Achthundert Mann, woraus das Bataillon bestand, wurden in eine seit langer Zeit leer stehende Abtei einquartiert, die, genau genommen, nur die Hälfte bequem zu beherbergen im Stande war. Die Leute wurden an der Erde in einigen Zimmern auf ein wenig Stroh zusammengepackt, und konnten sich nicht auskleiden, weil es an Decken fehlte. Die Einwohner sagten uns, das Bataillon könne in der Abtei nicht bleiben, weil da alle Nächte Gespenster umgingen; der Ort sey deshalb verlassen, und werde nur dann gebraucht, wenn man sich nicht anders zu helfen wisse. Jedermann lachte über die Leichtgläubigkeit und den Aberglauben der Leute; wie groß war aber unser Erstaunen, als wir um Mitternacht aus allen Winkeln unserer Caserne ein schreckliches Geschrei wiedertönen hörten, und sämmtliche Soldaten sich hinausstürzen und voll Schrecken davon eilen sahen. Alle antworteten auf die Frage nach der Ursache ihres Schre=[675]ckens, der Teufel hause in der Abtei; sie hätten ihn in Gestalt eines großen schwarzen, langhaarigen Hundes in eine Thüröffnung hereinkommen gesehen; dieser Hund habe sich dann auf sie gestürtzt, sey ihnen mit Blitzesschnelligkeit über die Brust gefahren und dann wieder durch eine Thür an der entgegengesetzten Seite von der, wo er hereingekommen, verschwunden. Wir machten uns über ihr panisches Schrecken lustig und suchten ihnen zu beweisen, daß die Erscheinung ganz natürlichen Ursprungs gewesen sey und weiter keine Bedeutung habe, als die, welche ihre Einbildungskraft ihr gebe.

Wir konnten sie indeß nicht überzeugen, und es war uns sogar unmöglich, sie wieder in die Caserne zurückzubringen, und sie brachten den Rest der Nacht theils am Ufer des Meeres, theils in der Stadt zu. Am andern Morgen befragte ich die Unteroffiziere und die ältesten Gemeinen noch einmal; sie betheuerten mir, daß sie weder an Geister noch an Gespenster glaubten, und wollten mich überreden, daß der Vorgang in der Caserne kein Spiel der Einbildungskraft, sondern eine wirkliche Erscheinung gewesen sey; daß sie nicht geschlafen hätten, als der Hund herein gekommen sey, daß sie ihn recht wohl gesehen hätten, und in dem Augenblick, wo er ihnen auf die Brust gesprungen sey, nahe daran gewesen wären, zu ersticken. Wir blieben den ganzen Tag in der Abtei, und da kein Regiment abgezogen war, so konnten wir keine andere Wohnung bekommen. Nur unter dem Versprechen, bei ihnen zu bleiben und für sie Wache zu halten, gelang es uns, die Leute dahin zu vermögen, daß sie die Nacht wieder in der Abtei zubrachten. [676] Um eilf Uhr vor Mitternacht begaben wir uns mit dem Chef des Bataillons in die Abtei. Alle Offiziere hatten sich voll Neugierde in den Zimmern zerstreut, und jeder von uns harrete stillschweigend auf die Erneuerung des Vorgangs, der so großen Schrecken verbreitet hatte. Die durch unsere Gegenwart sicher gemachten Soldaten lagen im Schlafe, als gegen Mitternacht, und in allen Zimmern auf einmal, das nämliche Geschrei, wie in der Nacht vorher, entstand, und die Soldaten, welche von Neuem gesehen hatten, wie ihnen der nämliche Hund auf die Brust sprang, voll Furcht, erstickt zu werden, aus der Caserne eilten, fest gelobend, sie nie wieder zu betreten. Wir waren stehend, ganz wachend, und paßten gut auf, um das, was vorging, wohl zu beobachten, sahen jedoch, wie man leicht denken kann, nichts.

Offenbar hing die Erscheinung, welche die Soldaten sahen, und der ich hier den Namen Alp gebe, von der gezwungenen Stellung ab, worin jene ganz angekleidet schlafen mußten, wobei ihre Athmungswerkzeuge um so mehr in ihrer Thätigkeit gehindert waren, als die Luft ihrer Lagerstelle sich in einem verdünnten und vielleicht durch eine schädlich Gasart verderbten Zustande befand, und die Muskeln durch den langen Marsch, den die Leute, ihren Sack auf dem Rücken, gemacht hatten, ermüdet waren.

An keinem anderen Orte in Italien haben wir eine solche Erscheinung wieder beobachtet, obgleich unsere Soldaten einigemal eben so schlecht einquartirt waren.


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Zeitschrift für psychische Aerzte: mit besonderer Berücksichtigung des Magnetismus / hrsg. von Fried[rich] Nasse. - Leipzig : Cnobloch, 1820. - Hft. 4, S. 673 - 676.